Tag oder Nacht?
Bei der Arbeit zu meinem aktuellen Buch »Magisches Licht« hat das Thema Nachtaufnahmen immer mehr mein Interesse geweckt - viel mehr, als ich ursprünglich erwartet hätte.
Mir ist erst beim fleißigen Ausprobieren und in verschiedenen Varianten Ausarbeiten vieler Bilder die enorm große Spannweite der Möglichkeiten bewusst geworden, die man heute mit der Digitalfotografie in diesem speziellen Bereich hat.
Besonders fasziniert hat mich dabei, dass sogar vieles machbar ist, das weit über die Leistung des menschlichen Auges hinaus geht. Damit hat die Nachtfotografie eine starke Parallele zur Infrarot-Fotografie.
Das Bild rechts ist um Mitternacht fotografiert, und ich habe die eigefangene Szene gewiss nicht so gesehen wie auf dem Bild dargestellt: Der Himmel war natürlich schwarz gewesen und die Farbe des Lichts eine ganz andere, nicht so »reine«. Insgesamt waren viel weniger Details zu erkennen, und selbstverständlich sah der Fußgänger auch nicht so seltsam verzerrt aus.
Mir fällt übrigens immer wieder auf, dass die Unschärfe durch Bewegung kaum jemanden irritiert. Das kennt man eben von vielen anderen Bildern, auch wenn man es selber vielleicht noch nicht probiert hat. Andererseits trifft es immer wieder auf ungläubiges Staunen, wenn die Leute hören, dass das mitten in der Nacht aufgenommen worden ist. Sie tun sich schwer, das zu glauben (wahrscheinlich wird es halt doch eher in der späten Dämmerung gewesen sein!).
Dabei ist das gar nichts wirklich Neues, sondern eine Eigenschaft, die schon bei der Fotografie auf Film bestanden hat: Man kann Licht »sammeln«, und das sogar fast beliebig lange. Es gibt zwar eine untere Grenze für die Helligkeit, unterhalb der dann wirklich nichts mehr geht oder die Information im Rauschen verschwindet, aber diese Grenze liegt sehr niedrig. Ich kenne mehrere Fotografen, die Landschaften im Mondlicht fotografieren wollten und dann sehr erstaunt waren, dass nicht nur ganz langweilig normale Aufnahmen wie bei Tag heraus kamen, sondern manche waren sogar dafür noch deutlich überbelichtet!
So sah das aber nicht aus!
Nein, selbstverständlich nicht. Aber warum sollte mich das stören? Ich habe nie behauptet, dass das ein Bild »ganz genau aus der Wirklichkeit« sei. Das ist es natürlich nicht, wenn der Maßstab das gewohnte menschliche Sehen ist. Aber wenn ich mit der Kamera schon ein Instrument in der Hand habe, das darüber hinaus auch noch mehr kann und das dann im RAW-Konverter ganz nach meinen Vorstellungen ausgearbeitet werden kann mit eindrucksvollem Ergebnis: Warum sollte ich das dann nicht einfach tun?