Fototipp Februar 2015:

Das vorhandene Licht genügt

Mir fällt immer wieder auf, dass viele Fotografen dazu tendieren das Licht auf keinen Fall so zu nehmen, wie man es antrifft. Warum, frage ich mich? Natürlich ist nicht jedes Licht so, wie man es sich vielleicht im ersten Moment vorstellt. Man sollte aber nicht die Möglichkeit unterschätzen, die sich bei sorgfältiger Ausarbeitung der Rohdaten bietet Ich finde es aber sehr schade, wenn dann fast schon zwanghaft sofort zu Aufhellblitz und Reflektoren gegriffen wird. Das Ergebnis sollten nicht nur Aufnahmen sein, die sich von der Stimmung her alle sehr ähnlich sehen und denen man das Zusatzlicht sofort ansieht.

Leoni im Zug

Schattenfreie Ausleuchtung

Werfen Sie einen Blick auf das Bild in dem schon ziemlich abgewrackten Zug. Es ist an einem trüben Wintertag aufgenommen. Bedeckter Himmel, alles grau in grau. Das ist eine Atmosphäre, die mir für diese Umgebung optimal gefällt. Farbe würde ich hier störend finden. Deshalb habe ich mich für eine dezente Duplex-Tonung entschieden. Reines SW wäre auch eine Option, aber der leicht bräunliche Ton hat mir hier besser gefallen.

Das völlig schattenfreie Licht gibt dem Fotograf große Freiheit bei der Bildgestaltung, weil man nirgends Schlagschatten befürchten muss und nicht einmal darauf achten muss, ob auch die Augen auch genug Licht bekommen. Es ist wirklich fast überall gleich hell - aber dann doch nur fast: Von draußen kommt doch das Licht gerade um den kleinen Touch heller, der ausreicht, um der Körperform noch etwas plastische Wirkung zu geben.

Astrid am Fenster

Porträt am Fenster

Das Porträt am Fenster ist eine klassische Lichtsituation, die sehr einfach zu beherrschen ist, wenn nicht gerade direktes Sonnenlicht einfällt. Gerade an trüben Tagen hat man wunderbar weiches Licht. Ich vermute, viele Fotografen lassen sich einfach dadurch bluffen, dass sie befürchten, man wird nachher dem Bild die vielleicht zu trostlose Stimmung ansehen. Das ist natürlich Unsinn. Der Fotograf entscheidet schließlich maßgeblich durch die Wahl des Ausschnittes mit, welcher Eindruck entsteht. Das Fenster selber ist hier zum Beispiel ja gar nicht mit auf dem Bild, weil das nicht besonders einladend ausgesehen hat.

Jana am Fenster

Fast die gleiche Beleuchtungsart, hier aber mit deutlich mehr Kontrast ausgearbeitet, zeigt dieses Bild. Spontan neigen die meisten Fotografen zu der Annahme, dass die Lichtsituation bestimmt eine deutlich andere gewesen sein muss. Das war aber tatsächlich nicht der Fall, sondern die wesentliche Entscheidung ist einfach bei der Ausarbeitung im RAW-Konverter gefallen.

Das hat nichts mit Zauberei zu tun und nicht einmal mit simpler Trickserei. Es ist ist einfach das gezielte Ausnutzen der weiten Möglichkeiten, die einem der RAW-Konverter bietet, indem man die Wirkung von Lichtern und Tiefen ganz individuell abstimmt.

Ich habe mir deshalb schon längst eine ganz andere Sehweise bei der Aufnahme angewöhnt: Ich lasse mich heute viel weniger davon beeindrucken, wie ausgeprägt oder wie schwach ein Merkmal der Lichtsituation ist. Ich achte vor allem auf den »Charakter« des vorhandenen Lichts (mir ist leider keine bessere Bezeichnung eingefallen) und verlasse mich darauf, dass ich die Intensität dieser Grundstimmung in sehr weiten Grenzen beeinflussen kann. Das ist auch der Grund dafür, warum ich auf Manipulationen der Lichtsituation bei der Aufnahme nach Möglichkeit ganz verzichte. Man muss es nicht auf Gedeih und Verderb nur so machen, aber es ist eine Arbeitsweise, die mir eben sehr liegt - und es macht mir Spaß, das immer wieder bis zum Maximum auszureizen.

Jana harter Kontrast

Schon eine recht geringfügige Änderung an der selben Stelle zur selben Uhrzeit ein paar Schritte weiter rechts kann ausreichen, um ein Bild mit völlig anderer Wirkung zu erzeugen.

Natürlich spielt die Art der Ausarbeitung eine große Rolle, aber mit entscheidend war doch das hier merklich kontrastreichere Licht durch die tiefen Schattenbereiche unterhalb des Fensters.

Wenn es zur Stimmung passt, nehme ich auch gerne in Kauf, dass größere Teile des Bilds sehr dunkel werden. Hier war es mir dann aber doch zu extrem, weshalb ich großflächig den unteren Bereich partiell aufgehellt habe. Ich stelle immer wieder fest, dass man aber auf keinen Fall zu viel des Guten tun sollte.

Es ist gar nicht selten, dass ich die Bilder am nächsten Tag nochmals kritisch durchschaue und bei mindestens der Hälfte die Stärke der Korrektur dann doch wieder ein ganzes Stück zurück nehme. Das macht aber nichts, solange man das mit den RAW-Daten erledigt, denn dabei lässt sich ja so gut wie verlustfrei arbeiten. Man sollte sich deshalb von vorn herein gleich angewöhnen, dass man so viel wie möglich mit den Rohdaten arbeitet und wirklich erst ganz zum Schluss exportiert und nur noch die paar verbliebenen Eingriffe vornimmt, die der RAW-Konverter momentan noch nicht bieten kann. Ich stelle aber fest, dass es bei mir immer weniger wird. Man wird bestimmt in Zukunft noch einige Überraschungen erleben, was an neuen Features kommt. Noch vor zehn Jahren wäre ich z.B. niemals auf den Gedanken gekommen, dass sich sogar Schwächen des Objektives noch nach der Aufnahme mit einem einzigen Mausklick einfach herausrechnen lassen könnten, wie man das heute kaum mehr bewusst wahrnimmt.

Manuela mit Sessel

Wie im Studio

Die meisten Betrachter des Bilds rechts werden sicher vermuten, dass das eine typische Studioaufnahme ist, gewiss mit allerlei Aufwand an Lichtformern und dergleichen mehr.

Nichts davon trifft aber zu. Fotografiert habe ich in einem alten Hotel, das schon kurz vor dem Abriss stand. Der Stoffhintergrund und der Sessel waren in dem Raum vorhanden. Die einzige Lichtquelle war ein schon lange nicht mehr geputztes, fast schon blind gewordenes größeres Fenster auf der linken Seite.

In der Tat war das Licht so spärlich, dass bei ISO 800 und Blende 4,8 eine 1/8 Sekunde nötig war. Das sieht man dem Bild natürlich nicht an, aber mir kam das ganz gelegen, weil das leicht erhöhte Bildrauschen ganz gut zu dem nostalgischen Charakter passt. Die mäßige Vignettierung habe ich im RAW-Konverter hinzugefügt, und die Farbabstimmung natürlich ebenfalls.

Man mag das albern finden, dass ich ein solches Bild hier zeige, das man ja wirklich im Studio auch hätte arrangieren können. Das stimmt natürlich, und ich will auch gar nicht behaupten, dass das studiolose Bild das bessere wäre. Ich möchte es einfach als ein Beispiel dafür bringen, dass tatsächlich der nötige technische Aufwand oft viel geringer sein kann, als die meisten Fotografen sicher glauben.

Fantine im Gegenlicht

Keine Angst vor Gegenlicht

Eine klassische Aufnahmesituation, bei der viele Fotografen sofort zum kräftigen Aufhellblitz greifen, sind Porträts bei Gegenlicht - mit dem Effekt, dass dabei der eigentliche Reiz der Lichtstimmung völlig ruiniert wird! Es schadet sicher nicht, wenn man vor dem Druck auf den Auslöser noch für einen Moment das Hirn aktiviert: Was soll der Blitz hier bringen?

Na klar, er wird die auf der Schattenseite liegenden Bildpartien im Vordergrund natürlich aufhellen und damit den Helligkeitsunterschied ganz erheblich verringern. Wenn der Blitz stark genug ist, kann das sogar so weit gehen, dass eine Stimmung wie in der Dämmerung entsteht.

Die Frage ist doch aber: Möchte ich das denn überhaupt? Nein heißt meine Antwort meistens, denn ich möchte ja gerade die Atmosphäre im Bild einfangen, durch die das Gegenlicht geprägt ist.

Die Kamera »sieht« anders als das menschliche Auge

Wer in Richtung einer sehr hellen Lichtquelle schaut, der kann sich noch soviel Mühe geben wie er will, aber alle Objekte auf der Schattenseite werden für ihn recht dunkel erscheinen, weil sich die Pupille halt auf ein Minimum geschlossen hat. Ganz ähnlich reagiert die Automatik der Kamera: Sie belichtet so knapp, dass das Gesicht im Vordergrund viel zu dunkel wiedergegeben wird. Der springende Punkt ist aber: Als Fotograf kann ich das auch ganz anders machen, indem ich die Belichtung auf das Gesicht abstimme (per Spotmessung zum Beispiel).

Das hat natürlich zur Folge, dass wegen des sehr hohen Kontrastumfangs große Teile des Hintergrunds hoffnungslos überbelichtet werden. Allerdings stört das nicht, weil mein Hauptmotiv ja die Person im Vordergrund ist und nicht der Hintergrund selbst. Deshalb ist es gestalterisch günstig, wenn man mit weit geöffneter Blende fotografiert und den sowieso überbelichteten Hintergrund zusätzlich in Unschärfe verschwimmen lässt - sehr gut zu sehen auf dem Bild hier.

Enttäuschende Ergebnisse?

Das sieht bei Ihnen aber trotz angepasster Belichtung alles nur irgendwie soßig und kontrastarm aus? Das kann verschiedene Gründe haben. Erst mal sollten Sie nicht direkt in die Lichtquelle hinein fotografieren. Und eine Sonnenblende ist auch sehr zu empfehlen. Wenn das alles nichts hilft, dann kommt wohl Ihr Objektiv hier leider an seine Grenzen. Vor allem Zoomobjektive mit großem Brennweitenbereich enthalten oft 14 und mehr Linsen. Trotz aufwendiger Vergütung ist das ein Problem bei Gegenlicht. Ein Festbrennweiten-Objektiv (das Bild hier wurde mit dem 1,8/50 aufgenommen) ist die wesentlich bessere Wahl. Ich erinnere mich noch gut an das alte 90mm-Objektiv meiner M-Leica. Obwohl damals noch wenig vergütet war, hatte dieses Objektiv einen unglaublich guten Kontrast sogar bei direktem Gegenlicht.

Natürlich spielt der Preis auch eine Rolle. Ein billiges Kit-Objektiv von der Stange wird selbstverständlich immer auch einem Zoomobjektiv ähnlicher Brennweite, aber zum vielfachen Preis unterlegen sein. Hier sollte man also keine Wunder erwarten.

Andrea im Winter

Porträt im Winter

Zum Abschluss noch ein Beispiel mit weniger Kontrast. Es ist einfach ein Porträt aus einem bedeckten Wintertag, also mit extrem weichem Licht, ganz ähnlich wie das erste Bild dieser Seite. Das Licht ist sogar so weich, dass es schon richtig flächig wirkt. Man könnte deshalb bemängeln, dass dem Bild an räumlicher Wirkung fehlt. Dieser Ansicht würde ich mich aber nicht anschließen. Ich mag gerade diese ausgesprochene Weichheit an diesem Bild sehr, weil sie mit der Pose und dem Gesichtsausdruck des Modells harmoniert. Ich habe auch versucht das durch die farbliche Abstimmung bei der Ausarbeitung noch zu unterstreichen.

Ich wähle ja sowieso fast immer die Blende so, dass ich nur gerade so weit abblende wie unbedingt nötig. Damit lässt sich genug räumliche Tiefe erzeugen. Ich wollte bei diesem Bild nichts Überflüssiges reinpacken. Das Porträt soll optimal zur Geltung kommen. Die winterliche Atmosphäre braucht keinen scharf abgebildeten Hintergrund. Die paar Schneeflöckchen in den Haaren und die weiße nur noch zu erahnende Landschaft im Hintergrund erfüllen ihren Zweck mit minimalistischen Mitteln.

Zusammenfassung

Ich möchte Sie mit diesen Beispielen ermuntern: Betreiben Sie keinen »technischen Overkill« mit zusätzlichen Aufhelllichtern und Reflektoren, nur weil Sie das eben nun mal besitzen. Gehen Sie raus aus dem Studio und lassen Sie ganz bewusst das künstliche Licht daheim. Sehen Sie genau hin und nehmen Sie den Charakter der vorgefundenen Lichtstimmung aufmerksam war. Bei der Ausarbeitung der Rohdaten nachher am Computer warten so viele wunderbare Möglichkeiten auf Sie, dass Sie selber immer wieder staunen werden. - Probieren Sie's immer öfter aus!