FOTOTIPP Juni 2014:
Verzicht auf Bildbearbeitung?
Mir fällt auf, dass es immer mal wieder Fotografen gibt, die bei Ihren Arbeiten ganz besonders hervorheben, dass es »völlig unbearbeitete Bilder« seien (z.B. erst kürzlich bei der Ausstellung eines künstlerisch tätigen Fotografen). Mich irritiert das, denn die Nicht-Bildbearbeitung wird ja dabei als ein ganz besonderes Qualitätsmerkmal herausgestellt. Die nicht bearbeiteten Bilder bekommen ein Etikett wie etwa naturbelassen oder »Bio« verpasst. Macht das wirklich Sinn? Ich möchte diese Frage etwas genauer unter die Lupe nehmen.
Was bedeutet Bildbearbeitung?
Es ist ein sehr schwammiger Begriff, der vor allem seit dem Umstieg auf Digitalfotografie ganz besonders unterschiedliche Bedeutung haben kann. Grundsätzlich war zwar auch früher mit Film schon allerlei möglich, wenn man die entsprechende Mühe auf sich nehmen wollte und die Technik beherrschte auch Fotomontagen. Mit Photoshop sind aber auch komplexe Manipulationen natürlich um Längen einfacher geworden. Ich denke, genau das ist der springende Punkt, warum puristisch orientierte Fotografen beim Begriff Bildbearbeitung sofort die Nase rümpfen.
Bildbearbeitung = verwerfliche Manipulation?
Hier sollte man zwei sehr unterschiedliche Dinge nicht in einen gemeinsamen Topf werfen: die Bearbeitung als Manipulation wie Retusche oder Montage / Composing auf der einen Seite und die Bemühung um möglichst perfekte Ausarbeitung der Aufnahme auf der anderen Seite.
Man sollte sich keine Illusionen machen: Längst ist es ja möglich mit CGI (=Computer Gemerated Imagery, also »Bildsynthese« sozusagen) fotografisch völlig echt und realistisch wirkende Bilder zu schaffen, denen man den Weg ihres Entstehens nicht ansehen muss. Autowerbung wird heute fast ausschließlich nur noch auf diese Weise hergestellt, weil das unterm Strich die deutlich flexiblere und kostengünstigere Arbeitsweise dafür ist. Man mag es als besonders kurios empfinden, dass bei solchen Anzeigen- und Plakatmotiven gerade das Auto, also das Hauptobjekt, überhaupt nicht fotografiert worden ist, sondern durch 3D-Rendering entstanden ist.
Das »wahre« Bild
Zu Zeiten der Analog-Fotografie ist keiner auf die Idee gekommen den fotografischen Prozess mit dem Negativ als beendet zu erklären, denn das Bild war damit ja noch unfertig. Man sollte dabei aber bedenken, dass der Positivprozess, also das Vergrößern in der Dunkelkammer, einen größeren Eingriff bedeutete als heute die meisten Puristen der Digitalfotografie wohl ahnen. Nehmen wir die Schwarzweißfotografie: Da gab es nicht nur das eine Fotopapier, sondern viele Abstufungen der Gradation (=des Kontrastumfangs) von extra weich bis extra hart. Durch die Entscheidung für eine bestimmte Gradation wurde die Wirkung des Bildes ganz erheblich beeinflusst. Niemand fand etwas Schlechtes dabei, dass der anspruchsvolle Fotograf die Ausarbeitung seiner Bilder ganz gezielt beeinflusste. Und damit noch nicht genug: Es gab natürlich Papiere mit unterschiedlicher Oberfläche, und durch die Wahl des Entwicklers konnte die Bildstimmung von warmschwarz (bräunlich) über neutralschwarz bis zu blauschwarz gesteuert werden. Niemand hat sich daran gestört oder gar eine schlimme Manipulation darin gesehen.
Es ist eine Illusion, wenn man annimmt, bei Digitalfotografie würde es das unbearbeitete und damit besonders »wahre« Bild geben. Das gab es schon bei Fotografie mit Film nicht, wie wir ja gerade gesehen haben. Der digitale Bildsensor »sieht« gar keine Farben. Dass damit trotzdem Farbaufnahmen möglich sind, beruht nur auf einem Trick: Unmittelbar vor dem Sensor und meistens fest damit verbunden befindet sich die Bayer-Matrix, mit der jedes einzelne Pixel wie durch einen starken Farbfilter gesehen die Bildinformation erhält (rot, grün oder blau). Der Grundgedanke dabei war gar nicht neu, denn auch der Farbfilm hatte drei Farbschichten übereinander, aus denen der Farbeindruck des Bildes erst entstehen konnte.
Wer einmal selbst im Farblabor gestanden ist und Farbbilder vom Negativfilm vergrößert hat, der weiß aus leidvoller Erfahrung, wie viel Mühe die richtige Einstellung der Farbfilter auch trotz Color-Analyzer kosten konnte, wenn man noch wenig Erfahrung hatte. Was man damals im Labor getan hat, das war einfach der Weißabgleich, den man heute bei Aufnahmen im RAW-Modus so bequem und entspannt einfach am Computerbildschirm erledigen kann. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen auf diesen wichtigen Schritt zu verzichten, weil das eben gnadenlos farbstichige Bilder gegeben hätte, da schon das Fotopapier durch Fertigungstoleranzen unweigerlich Abweichungen hatte, die man ausgleichen musste.
Keine Illusionen
Wer glaubt, ich lass einfach meine Kamera machen, und das Bild, wie es dort raus kommt, das ist dann aber wirklich garantiert unbearbeitet, der ist nur einem Denkfehler auf den Leim gegangen: Die Wahl besteht nur darin, ob man RAW fotografiert und die Ausarbeitung selber macht, oder ob man sie einer Automatik überlässt, die selbstverständlich auch Eingriffe vornimmt (teilweise sogar sehr drastische), nur wird man halt nicht drauf hingewiesen! Wer's nicht glaubt, der nehme mal zwei unterschiedliche Kameras und fotografiere bei gleicher Lichtsituation das gleiche Motiv als JPG in maximaler Qualität. Sie werden staunen, wie unterschiedlich die Ergebnisse ausfallen können!
Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, warum man auf die schönen Möglichkeiten der Ausarbeitung verzichten sollte. Bildbearbeitung muss ja nicht Retusche bedeuten, wenn man das nicht möchte. Farbabstimmung, Kontrast, Konturenschärfe und noch eine ganze Reihe weiterer feiner Abstimmungen möchte ich nicht aus der Hand geben. Ich habe meine Vorstellung, mein »Bild im Kopf« schon vor der Aufnahme, und die sorgfältige Ausarbeitung danach sehe ich als einen selbstverständlichen weiteren Schritt bis zum Endprodukt Bild.