Fototipp Dezember 2014:
Bewegende Momente
Wenn Sie meine Homepage schon ausführlicher durchgestöbert haben, dann wird Ihnen ja sicher aufgefallen sein, dass mich Aufnahmen bei wenig Licht oder generell bei ungewöhnlichen Lichtverhältnissen besonders reizen. Wenn irgendwie möglich, verzichte ich dabei grundsätzlich auf Blitz, Aufheller und ähnliche Hilfsmittel, weil ich die vorgefundene Atmosphäre herausheben möchte - nicht aber sie durch Fremdlicht erschlagen. Das ist zwar nicht immer ganz einfach, aber ich empfinde gerade das als eine schöne Herausforderung.
Wenn man aufmerksam die Effekte im Auge behält, die sich dem Fotograf manchmal fast schon aufdrängen, sind oft erst mal einige systematische Versuche der beste Einstieg, um die Möglichkeiten gezielter in den Griff zu bekommen.
Der Trick mit dem Schaufenster
Viele glauben, dass Personenaufnahmen bei Nacht entweder Blitz oder eine maximal hohe ISO-Einstellung brauchen. Das ist aber nicht besonders kreativ, meine ich.
In der Stadt gibt es nachts so viele interessante Lichtquellen, dass man nur etwas aufmerksam hinschauen muss. Ich verwende besonders gerne das von Schaufenstern großflächig abgestrahlte Licht als die Lichtquelle, die einen Blitz ganz prima ersetzen kann. Ein entscheidender Vorteil liegt dabei darin, dass sich schon bei Beginn der Bildgestaltung gut einschätzen lässt, wie sich das Licht im Vordergrund zu dem im Hintergrund verhält. Und das lässt sich sogar in recht weiten Grenzen beeinflussen: Je näher am Schaufenster, umso dominanter wird natürlich das Licht im Vordergrund.
Das Bild rechts habe ich mit 1/10 Sekunde bei Blende 2,4 und ISO 400 aufgenommen. Sheela steht etwa 3 Meter vom Schaufenster entfernt.
Ich wollte hier eine Stimmung erzeugen, die das Model fast ein bisschen wie in das Bild hinein montiert erscheinen lässt, aber nur angedeutet. Das wird durch mehrere Komponenten erreicht:
- Der Gegensatz Schärfe / Unschärfe. Sie steht ruhig, während die Passanten, die hinter ihr vorbei laufen, bereits mäßig verwischt erscheinen.
- Warme und kalte Farben. Das Licht aus dem Schaufenster gibt Sheelas Hautton ganz normal wieder, während alles weiter im Hintergrund hier merklich kälter wirkt. Das kommt natürlich immer auf die einzelnen Lichtquellen an.
- Die weit geöffnete Blende des 50mm Objektivs garantiert minimale Tiefenschärfe. Das trennt das Model im Vordergrund zusätzlich nochmals vom übrigen Bild.
Natürlich habe ich ein Stativ verwendet. Das Fotografieren geht damit zwar insgesamt langsamer und schwerfälliger, aber das empfinde ich nicht als Nachteil, denn ich schaue dann aufmerksamer hin, was auch dem Bildaufbau gut tut.
Wie surrealistisch darf's werden?
Tatsächlich hat man über die Wahl der Belichtungszeit sehr großen Einfluss darauf, wie stark die Verwischung bewegter Objekte wird. Natürlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob das betreffende Bildelement ein vorbei fahrendes Auto ist (das gibt zusätzliche Lichtspuren) oder ein Fußgänger. Man sollte sich erst mal überlegen, welche Wirkung man haben möchte. Lichtspuren von Scheinwerfern scheinen das Bild zu zerschneiden. Das ist nicht unbedingt erwünscht.
Dass man aber auch Fußgänger nahezu in nichts sich auflösen lassen kann, das zeigt das letzte Bild dieses Beitrags. Aufgenommen wurde es mit einer halben Sekunde Belichtungszeit.
Seien Sie mal mutig und lassen Sie auch für Personenaufnahmen bei Nacht in der Stadt Blitz und Aufheller zu Hause! Sehen Sie sich aufmerksam um, und Sie werden haufenweise Lichtquellen entdecken, die mal ausprobiert werden wollen. Bringen Sie aber Geduld mit und werfen Sie nicht gleich die Flinte ins Korn, wenn die Ergebnisse der ersten Aufnahmetermine noch nicht überzeugend sind. Probieren Sie's immer wieder, und Sie werden merken, wie jedes Mal die Tücken durch Erfahrung weniger werden. Für mich ist es ein Thema, das mich immer mehr begeistert.