Fototipp Januar 2015:
Noch mehr zum Thema Schaufenster
Wer den Fototipp des vergangenen Monats gelesen hat, der weiß bereits Bescheid: Porträtaufnahmen bei Nacht ohne Blitz und Aufheller sind auch möglich, indem man das in der Stadt oft großflächig vorhandene Licht aus Schaufenstern als Lichtquelle benutzt. Weil das aber doch etwas trickreicher ist als man im ersten Moment denkt und einige Nachfragen kamen, will ich noch einmal genauer drauf eingehen.
Das Grundprinzip
Rechts sehen Sie eine Standardsituation, wie man sie in jeder Einkaufsstraße findet - eine lange Schaufensterfront eben. Um solche Beleuchtung als die Lichtquelle für Porträts nutzen zu können, schadet etwas Nachdenken vorab nicht, denn es gibt ein paar Tücken, die man leicht übersehen kann.
Jeder Fotograf sollte wissen, dass von einer punktförmigen Quelle ausgehendes Licht im Quadrat des Abstands an Helligkeit verliert. Das ist einer der Gründe, weshalb frontaler Blitz keine gute Lichtquelle ist. Auf dem kleinen Foto ist deutlich zu erkennen, dass das Licht aus dem Schaufenster in dieser Hinsicht viel »gutmütiger« ist, weil es sich dabei ja nicht um eine punktförmige Lichtquelle handelt, sondern um eine großflächig relativ gleichmäßig abstrahlende Lichtquelle. Das ist für Porträts schon mal günstig. Tatsächlich verhält sich das Licht aus dem Schaufenster ganz ähnlich wie eine große Softbox im Studio.
Abstand ist wichtig
Kaum ein Fotograf käme im Studio auf die Idee sein Fotomodell einen halben Meter oder weniger vor die Lichtquelle zu setzen. Das ist unnötig und macht keinen Sinn. Deshalb sollte man auch beim »Schaufenster-Studio« etwas Abstand halten, damit der unweigerlich vorhandene Lichtabfall nach draußen gleichmäßiger ausfällt. Ich halte deshalb meistens mindestens zwei Meter Abstand zum Fenster ein, eher noch etwas mehr.
Das Bild links zeigt eines der Ergebnisse von dem Fototermin ähnlich dem oben in klein gezeigten Aufbau, aber hier wegen dem günstigeren Hintergrund um 180 Grad gedreht.
Auch wenn viele vermuten werden, dass da sicher noch andere Hilfsmittel im Einsatz waren: Definitiv nein, außer einem Stativ natürlich. Wenn man sich an stärkerem Rauschen nicht stört und auf ISO 1600 oder mehr geht, ist sogar das Stativ entbehrlich. Weil Belichtungszeiten von 1/8 oder 1/4 Sekunde auch für Personenaufnahmen normalerweise kein Problem sind, gibt es nach meiner Meinung keinen Grund, warum man aus freier Hand arbeiten sollte. Deshalb habe ich für solche Bilder immer das Stativ dabei.
Weißabgleich
Obwohl der automatische Weißabgleich der Kamera meistens sogar bei solchen Motiven ganz brauchbar ist, mache ich mir während der Aufnahme noch keine näheren Gedanken über diese Frage. Selbstverständlich arbeite ich nur in RAW und kann deshalb ganz entspannt die Feinabstimmung nachträglich vornehmen. Ich orientiere mich dabei sinnvollerweise vor allem an einem angenehmen Hautton.
Mit dem Rücken zum Schaufenster
Eine weiche und ausgeglichene Beleuchtung ergibt sich natürlich dann, wenn das Model frontal oder nur leicht seitlich gedreht in einigem Abstand vor dem Schaufenster steht und der Fotograf ziemlich dicht mit dem Rücken zum Schaufenster gewandt. Man kann dabei sogar in recht weiten Grenzen die Helligkeit im Verhältnis zum Hintergrund regeln, indem man einfach den Abstand zum Schaufenster variiert. Meistens muss man nicht einmal fürchten selber einen unerwünschten Schatten zu werfen, denn es gibt fast immer noch mehr als genug Licht von rechts und links.
Hier sehen Sie ein Beispiel für eine solche Aufnahme:
Aufmerksam hinschauen
Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt läuft, entdeckt man auch jede Menge interessanter Anordnungen der »Schaufenster-Lichtquellen«, so beispielsweise wie rechts skizziert.
Hier standen zwei Schaufenster im Winkel zueinander und ein Vordach konnte noch schön weiches Licht von oben liefern - was will man also mehr!?
Und auch wenn ich mich bisher bei meinen Beschreibungen auf die Wirkung der Schaufenster als Lichtquelle beschränkt habe, möchte ich natürlich nicht behaupten, dass das nachts in der Stadt die einzige mögliche Lichtquelle ist. Selbstverständlich gibt es auch Straßenlaternen und anderes mehr.
Auch solche Lichtquellen kann man natürlich gezielt mit einbeziehen. Hier sollte man aber sehr kritisch hinsehen, weil zum Beispiel Straßenlaternen ein ziemlich steil von oben einfallendes Licht bringen (Vorsicht vor ungünstigen Schatten bei den Augen!) und manchmal auch eine problematische Farbzusammensetzung haben, was schwierig für den Weißabgleich sein kann.
Weil aber bekanntlich probieren oft übers Studieren geht und ein paar Aufnahmen mehr bei der Digitalkamera ja nicht wie früher lästige Kosten für Film und Entwicklung verursachen, empfehle ich unbedingt viele Eindrücke festzuhalten. Es lohnt sich auch, dass man immer wieder auch festhält, wie die Szenerie ausgesehen hat, damit man nachher noch rekonstruieren kann, wie genau jetzt welche Aufnahme entstanden ist. Sie werden nämlich feststellen, dass man auf diese Weise viel schneller ein gutes Gefühl dafür entwickelt, welche Bedingungen beim nächsten Mal etwas anders angegangen werden sollten, wenn es noch nicht ganz optimal ausgefallen ist.
Keine Angst vor hohen Kontrasten
Zum Abschluss möchte ich noch ein Beispiel dafür bringen, dass dank RAW auch sehr hohe Kontraste erstaunlich gut zu bewältigen sind.
Schauen Sie sich das Bild hier rechts an: Natürlich war das Schaufenster viel heller als der Bereich draußen. Wenn man gut belichtet (also weder in den Tiefen noch in den hellsten Partien nennenswerte Beschneidung des Histogramms), sind auch solche extremen Lichtverhältnisse noch ganz gut in den Griff zu bekommen.
Man könnte auf die Idee kommen, dass hier doch HDR sinnvoll wäre. Ich meine, wenn man's gern mag, kann man das ja probieren, aber dann muss das Model schon extrem ruhig stehen, was oft zu ziemlich versteinertem Ausdruck führt. Ich bin kein Freund davon mehr Pulver als nötig zu verschießen. Man hat heute so schöne Möglichkeiten zu partiellen Korrekturen direkt im RAW-Konverter. Da brauche ich nun wirklich noch kein Gefummel mit HDR.
Ich würde mich freuen, wenn Sie auch ein bisschen »Blut geleckt« haben für Porträtaufnahmen nachts in der Stadt ohne Blitz und ohne Aufheller, nur mit dem vorhandenen Licht! Vielleicht laufen wir uns ja mal übern Weg. Ich bin so ziemlich in ganz Deutschland unterwegs...