Völlig unerwartet vor schwierigen Entscheidungen

Ein Beitrag, der mit Fotografie rein gar nichts zu tun hat: Ganz plötzlich ist meine 87-jährige Mutter zu einem großen Problem geworden, das mich fast jeden Tag auf Trab hält.

Abgesehen von Einschränkungen bei der körperlichen Mobilität und der in diesem Alter völlig normalen Schwerhörigkeit war sie bis vor zwei Wochen noch absolut selbständig (sie lebt seit dem Tod meines Vaters 2003 allein). Die Unterstützung, die sie gebraucht hat, war beschränkt auf Einkaufen einmal pro Woche und kleinere Arbeiten im Haushalt und bei der Körperpflege, aber wirklich nichts Schwerwiegendes. Lediglich über „störende Geräusche bei Nacht“ hat sie ab und zu geklagt. Die Vermutung war Tinnitus.

Dann war sie eines Nachts aber sehr aufgeregt und hat zu den Geräuschen auch allerlei optische Halluzinationen gehabt und sich bedroht gefühlt. Sie hat die Nachbarin aus dem Bett geklingelt. Ich hab mein Handy leider nicht gehört, weil ich es im Raum nebenan auf leise gestellt auf dem Tisch liegen hatte. Als ich dann am frühen Vormittag auch dort eingetroffen bin (der Nachtdienst-Arzt war wieder abgezogen, weil sie sich auf keinen Fall ins Krankenhaus einweisen lassen wollte), war mir schnell klar, dass man das auf keinen Fall so lassen konnte (ich bin ja Psychologe und da auch nicht so ahnungslos). Nach stundenlanger Überzeugungsarbeit war sie dann doch bereit, sich wenigstens genauer untersuchen zu lassen.

Die für den Wohnort meiner Mutter zuständige psychiatrische Landesklinik ist 50 km entfernt mitten im Schwarzwald. Schon die Fahrt dort hin war ein Abenteuer, weil sie ständig mit einem fiktiven Mitfahrer auf dem Rücksitz geschimpft hat. Als wir dann endlich dort waren, war ihr Entschluss felsenfest: „Ich steige nicht aus, ich will wieder heim!“

Erst nach einer 3/4 Stunde ununterbrochenem Einreden auf sie von mir und zum Schluss noch 3(!) Krankenschwestern war ihre widerwillige Zustimmung wenigstens zur körperlichen Untersuchung zu erkämpfen. Der Stationsarzt (Geriatrie) hat Ahnung von seinem Job und kann sehr gut mit verwirrten und verängstigten alten Menschen umgehen und etwas Vertrauen schaffen. Damit war das Eis gebrochen. Bald war klar, dass die Durchblutung des Gehirns schlecht und der Blutdruck sehr nieder ist. Weil sich das Herz als sehr schwach zeigte, konnten ihr aber die Medikamente, die die Halluzinationen beseitigt hätten, nicht gegeben werden. Etwas anderes in niederer Dosierung musste verordnet werden und meine Mutter bis auf weiteres erst mal dort bleiben.

Wer das noch nie gesehen hat (ich kannte es ja), für den ist die Atmosphäre auf einer geschlossenen gerontopsychiatrischen Station schon ein Schock, weil man natürlich mit Patienten ganz unterschiedlicher Schwere konfrontiert ist. Ich bin sie deshalb jeden zweiten Tag besuchen gefahren. Nach gut einer Woche gingen die Symptome merklich zurück und es war für die nächste Woche an Entlassung zu denken.

Aber falsch gedacht! Am Donnerstag Vormittag war meine Mutter plötzlich nicht mehr ansprechbar, der Puls bei 28 und Blutdruck nicht mehr messbar. Sie bekam Atropin gespritzt und wurde mit dem Rettungswagen in die Klinik nach Calw gebracht, wo festgestellt wurde, dass die Nieren nicht mehr richtig arbeiten und auch eine Lungenentzündung vorhanden war.

Es wird schwierig

Man konnte in ihrem aktuellen Zustand (nur momentweise bei sich) nicht wissen, ob und wie weit das Gehirn bereits geschädigt ist. Ich habe für meine Mutter eine notarielle Vollmacht, die gesundheitliche Entscheidungen einschließt. Wir haben schon mehrfach besprochen: Wenn sie sehr schwer erkrankt, will sie keine Versorgung auf Gedeih und Verderb. Ihre Vorstellung von Lebensqualität passt dazu nicht.

Ich habe das deshalb ganz direkt angesprochen. Die Oberärztin hätte gerne einen Herzschrittmacher gelegt, und der Zustand der Nieren könnte bald auf Dialyse hinauslaufen. Beides abzulehnen war für mich selbstverständlich. Sehr ins Zweifeln kam ich aber bei der Lungenentzündung. Da ging es ja nur um die wenig belastende Gabe von Antibiotika. Ehrlich gesagt war ich mit dieser Entscheidung deutlich überfordert, weil man ja relativ schnell reagieren muss und natürlich keine nicht mehr zu korrigierende Fehlentscheidung treffen möchte. Mit sehr schlechtem Gefühl habe ich schließlich der medikamentösen Behandlung der Lungenentzündung zugestimmt, aber alle anderen künftigen lebenserhaltenden Maßnahmen ausgeschlossen. Eine wichtige Rolle hat sicher gespielt, dass meine Mutter ja kurz vorher noch „völlig normal“ gewesen ist (also mit den normalen altersbedingten Einschränkungen halt). Es fällt schwer sich vorzustellen, dass das ein für alle Mal dahin sein könnte.

Inzwischen sind zwei Tage vergangen und sie ist wieder wach, kann Schonkost zu sich nehmen und wieder trinken, was gestern noch nicht ging. Soweit macht das keinen so üblen Eindruck. Allerdings sind natürlich auch die Halluzinationen wieder da, weil das Herz ja offenbar die Medikation nicht vertragen hat. Das deutet schon das nächste Problem an: Die Halluzinationen und damit verbundenen Ängste sind eine massive Einschränkung. Wenn ich das aus nächster Nähe sehe, muss ich sagen, das kann man nicht so lassen. Was aber dann? Und was tun, wenn das Herz bei Medikamentengabe (auch geringere Dosis) dann noch mal schlapp macht?

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