Ich staune sehr, dass noch immer so viele Fotografen zur Spiegelreflex greifen, sich sogar heute noch eine neue DSLR kaufen. Das ist einfach ein technischer Anachronismus.
Hier sehen Sie vereinfacht dargestellt den typischen Strahlengang (rot) einer Spiegelreflexkamera. Ein wesentliches Bauteil ist der Spiegel (violett dargestellt). Er lenkt das durch das Objektiv einfallende Bild um. Sie müssen wissen, dass das Bild nach seinem Weg durch das Objektiv die Kamera seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend erreicht. Warum das so ist, braucht uns hier nicht weiter zu interessieren – so sind eben die optischen Gesetze. Durch die Umlenkung nach oben wird das Bild bereits aufgerichtet, bleibt aber immer noch seitenverkehrt. Jede Spiegelreflexkamera hat deshalb am oberen Ende ein so genanntes Dachkantprisma, in dem der Strahlengang nochmals umgelenkt wird (hier nur symbolisch skizziert). Nach dieser Umlenkung ist das Bild jetzt auch seitenrichtig und darf das Kameragehäuse durch das Okular verlassen. Hellblau dargestellt ist in meiner Skizze bei der DSLR der digitale Bildsensor. Früher, zu vor-digitalen Zeiten, befand sich an dieser Stelle der Film und direkt davor der Verschluss (hellgrau dargestellt). Der war natürlich nötig, damit den Film nur für den sehr kurzen Augenblick des Auslösens Licht erreichte.
Der Vorgang, der beim Druck auf den Auslöser ablief, war ziemlich komplex: Der Spiegel klappte nach oben, so dass das Bild jetzt den Verschluss erreichte und nicht mehr das Okular. Dann öffnete sich der Verschluss für die gewünschte Dauer und der Film wurde belichtet. Der Fotograf sah erst dann wieder das Bild im Sucher, wenn die Belichtung beendet war und der Spiegel wieder nach unten geklappt war.
Die Idee der SLR an sich war eine sehr feine Sache, denn der Fotograf konnte dadurch direkt durch das Aufnahmeobjektiv sehen, ohne dass es einen seitlichen Versatz des Bildes gab (Parallaxe), und auch Störungen wie Reflexe durch Gegenlicht wurden jetzt bemerkt. Insofern hatte sich der nicht unerhebliche technische Aufwand wirklich gelohnt.
Als in den 90er Jahren die ersten halbwegs ernst zu nehmenden Digitalkameras auf dem Markt waren, war es natürlich ein naheliegender Gedanke die Annehmlichkeiten der SLR auch mit der Digitalkamera zu verbinden. Und das ging am einfachsten dadurch, dass man eben eine konventionelle SLR als Grundlage nahm und an der Stelle des Films einen digitalen Bildsensor vorsah. Und tatsächlich war den ersten DSLR deutlich anzumerken, welche SLR in ihnen steckte.
Seither sind rund 20 Jahre vergangen und die Digitalfotografie ist schon längst eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Technik hat sich in einem Ausmaß entwickelt, dass digital aufgenommene Bilder schon längst die Qualität mit Film vergleichbarer Größe aufgenommener übertrifft. Da liegt es nahe sich auch mal zu fragen, ob das alte Konstruktionsprinzip der SLR heute für Digitalfotografie noch Sinn macht. Und in der Tat: Diese ganze Mimik mit klappendem Spiegel und umgeleitetem Strahlengang ist längst ein Dinosaurier! Von einer modernen Kamera erwartet man heute ganz selbstverständlich die LiveView-Funktion (also dass man in Echtzeit das digital erzeugte Bild sehen kann). Praktisch alle DSLR bieten das heute auch. Das Display (in meiner Skizze grün dargestellt) übernimmt damit die Funktion des Suchers.
So schön dieses große Sucherbild auch ist: Es hat Nachteile. Man muss die Kamera mit halb ausgestreckten Armen freihändig balancieren, und – noch schlimmer – bei Sonne sieht man viel zu wenig. Deshalb wollen die meisten Fotografen noch immer „einen vernünftigen Sucher“ haben.
Der Denkfehler besteht darin, dass es dafür nicht nur die DSLR-Bauweise gibt! Es gibt längst qualitativ sehr gute elektronische Sucher (EVF – electronic view finder), die an die Stelle des konventionellen Suchers treten können. Noch vor wenigen Jahren war das kein Ersatz, weil die damaligen EVF zu wenig Auflösung hatten und mit Kinderkrankheiten wie Bildruckeln beim Bewegen der Kamera Probleme hatten. Das ist aber alles Schnee von gestern. Moderne EVF sind absolut praxistauglich. Lediglich etwas heller dürften sie bei Sonnenschein noch werden, aber ich denke, auch das ist nur eine Frage kurzer Zeit.
Was folgt daraus?
Die klassische Spiegelreflex-Konstruktion macht einfach keinen Sinn mehr heute. Auch wenn der EVF unbestritten noch nicht wunschlos glücklich macht, ist das aber nur noch eine kurze Übergangsphase. Man gewöhnt sich erstaunlich schnell dran, und fast gleichzeitig lernt man auch die erheblichen Vorteile schätzen: Man hat gewissermaßen einen „LiveView-Sucher“ ohne die Nachteile des LiveView am Display. Sobald das vorhandene Licht schwach wird, spielt der EVF sofort seine Stärken aus. Es ist nicht übertrieben, wenn man den Begriff Restlichtverstärker verwendet. Obwohl ich eine Kamera habe, die auch einen konventionellen Sucher hat (OVF – optical view finder) benutze ich den immer seltener (nämlich nur dann, wenn der EVF bei sehr viel Licht etwas Mühe macht).
Die Vorteile überwiegen
Durch den Verzicht auf die gesamte SLR-Maschinerie wird das Kameragehäuse deutlich kompakter, was ein anderes Auflagemaß der Objektive ermöglicht und auch hier Bautiefe spart. Es ist aber nicht nur der Mechanismus des heute völlig überflüssigen Spiegels, sondern nicht zu unterschätzen ist auch die Gewichtsersparnis durch den Wegfall des Prismas, das ein stattlicher Brocken Glas ist. Seit ich mich an die Spiegellose gewöhnt habe, was sehr schnell ging, war mir klar: Es gibt kein Zurück für mich!