Passatempo ist nicht mehr

Die Rottenburger Bar Passatempo in der Königstraße 79 wird gerade ausgeräumt. „Geschleift“ könnte man auch sagen, wenn man es etwas drastischer ausdrücken will. 

Bekannt war die Kneipe aber bei den meisten Einheimischen unter einem ganz anderen Namen: „Beim Schwarzen Schwaben“, bei „Maikel“, oder einfach – ganz herzlich gemeint – „beim Neger“.

Schwarzer Schwabe
Maikel, der „Schwarze Schwabe“

Mit der Bezeichnung Bar verbinde ich eher was ganz anderes. So „nobel“ war das nicht. Viel besser trifft man’s, wenn man einfach sagt: Es war eine gemütliche kleine „Absacker-Kneipe“, die ungewöhnlich lang offen hatte. Meistens bis drei, aber manchmal konnte es auch fünf oder noch später werden.

Passatempo
Die meisten saßen am Tresen.

Die lange Öffnungszeit war auch der Grund dafür, dass man immer wieder Gäste dort traf, die nicht zum Stammpublikum zählten. Alles macht zu und man möchte noch nicht heim? Gehn wir zum Maikel, der hat bestimmt noch auf! Das fand ich schön.

Ich kenne Maikel schon seit einer Ewigkeit. Er kommt aus Eritrea und ist damals wegen dem Krieg über den Sudan nach Deutschland geflüchtet. Inzwischen hat er schon lange die deutsche Staatsbürgerschaft. Mitte der 80er Jahre hat er zusammen mit seiner Frau ein eritreisches Speiselokal in Rottenburg eröffnet mit höllisch scharfen Gerichten. Damals sind wir uns zum ersten Mal begegnet.

Es folgten mehrere Stationen in Rottenburg: das Nonnenhaus, die Neckargaststätte und dann schließlich das Passatempo. Fast schon zum festen Inventar gehörte von Mittwoch bis Samstag Abend Gudrun, die – wie ich finde – ihren je nach Publikum nicht immer ganz einfachen Job recht gut gemacht hat:

Gudrun
Gudrun hinterm Tresen

Das kleine Körbchen, das auf dem Foto rechts neben der Jack Daniels Schachtel zu sehen ist, war etwas Besonderes. Darin liegen nämlich verschieden farbige Chips mit einem Loch in der Mitte. Dem nicht eingeweihten Beobachter wie meiner einer erschließt sich natürlich die geheimnisvolle Bedeutung nicht, aber bei der Abrechnung (bei der man auf keinen Fall stören durfte!) haben Maikel und Gudrun immer ihre Chips wild hin und her geschoben, bis sie sich einig geworden waren. Ich habe die Vermutung, dass das ein ausgeklügeltes System gewesen sein muss, das die Leistung der nicht vorhandenen Registrierkasse ersetzen konnte.

Als am 1. November 2020 ja wegen Corona alle Kneipen schließen mussten (offiziell ja nur für drei Wochen, aus denen dann bekanntlich sieben Monate wurden), war ich noch sehr zuversichtlich, dass das nur vorübergehend werden würde. Ich hätte nicht gedacht, dass ich zum letzten Mal dort bin.

Maikel war schon seit einigen Jahren gesundheitlich zunehmend angeschlagen, hat sich aber doch immer wieder berappelt. Ende April ist dann ziemlich plötzlich seine Frau gestorben (so weit ich weiß durch Corona). Er war auch mal wieder für eine ganze Weile in der Klinik, ist aktuell zwar wieder daheim, aber zum wieder Kneipe machen reicht es mit seinen inzwischen 69 Jahren wohl nicht mehr.

Sehr, sehr schade!

Spielautomaten
Maikel vor den Spielautomaten: „I be do!“

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