Es ist schon schlimm, wenn einen das Objekt der Begierde so anstrahlt, dass man einfach nicht mehr davon los kommt! Schlimm? Nein, es ist sehr genussvoll! Hier isses jetzt…
Eine Heckflosse, Typ 220 Sb von 1965. Ein solches Auto hatte ich in den 80ern mehrere Jahre lang als mein Alltagsauto. War sogar ein SE gewesen, also Einspritzer mit 10 PS mehr. Aber der Unterschied ist nicht groß. Auch mit seinen 110 PS ist der 220 S absolut kein Verkehrshindernis.
Bin damals fast 200.000 km damit gefahren und hab fleißig alles selber geschraubt. Im Lauf der Jahre war das Einiges: Getriebe getauscht, Motor getauscht, Radlager hinten ersetzt (eine Reparatur, für die ich das nötige Spezialwerkzeug übers Wochenende in der Mercedes-Werkstatt ausleihen konnte) und allerlei mehr. Irgendwann wurde aber dann doch der Feind Rost immer mächtiger und es hätte einfach auf eine komplette Restaurierung rauslaufen müssen, was mir dann aber doch eine Nummer zu groß war als Projekt.
Stattliche 52 Jahre ist mein neu erworbenes Schätzchen alt. Es ist nicht zu übersehen: Chrom war damals das Maß aller Dinge. Daran wurde nicht gespart.
Natürlich fährt sich ein solches Auto anders als eines von heute. Das Fahrwerk der Mercedes-Flosse ist aber auch für heutige Verhältnisse erstaunlich gut. Das Auto verleitet nicht zum schnell Fahren, aber wenn man es mal wollte, geht das durchaus auch. Allerdings sollte man dabei nicht pennen, denn die Eingelenk-Pendelachse kann beachtlich biestig werden, wenn man in schnell gefahrenen Kurven abrupt das Gas weg nimmt oder gar auf die dumme Idee kommt zu bremsen. Wer darauf nicht gefasst ist, findet sich schnell im Graben wieder.
Lenkradschaltung war damals angesagt. Heute ist das natürlich sehr ungewohnt und es schaltet sich auch nicht so zügig wie bei der Knüppelschaltung. Ich mag es aber trotzdem ganz gern. Ich finde, irgendwie passt es einfach zu dem Auto. Wie das große Lenkrad auch. Beim Rangieren ist man ganz froh über den großen Durchmesser, denn Servolenkung hat meine Heckflosse nicht. Damit sich der Kraftaufwand trotzdem in Grenzen hält, hat man die Lenkübersetzung ziemlich indirekt ausgelegt. Von Volleinschlag links bis Volleinschlag rechts sind es volle 5 Umdrehungen des Lenkrads! Und Assistenzsysteme wie ABS, ESP usw., die heute selbstverständlich sind, waren damals noch nicht mal ein Fremdwort.
Dafür gibt es im Motorraum wirklich noch reichlich Platz. Und viele werden sich kaum vorstellen können, dass es nicht nur ganz ohne Assistenzsysteme ging, sondern noch in den 60er Jahren kamen die meisten damals gebauten Autos sogar völlig ohne Halbleiter aus: Mechanik war Trumpf, nicht Elektronik. Tatsächlich hatte auch mein Auto hier noch keinen einzigen Transistor und keine einzige Diode verbaut! Halt, stimmt nicht ganz: Das Autoradio (Becker Europa TR) war technisch schon weiter und war ein so genannter Transistorempfänger. Das war ein erheblicher Fortschritt, denn noch 10 Jahre früher waren Autoradios noch mit Röhren aufgebaut, was gar nicht so banale Anforderungen an die Stromversorgung stellte.