Alles, wovon sich nicht jeder sofort selber überzeugen kann, daß es nicht wie behauptet ist, läßt eine ganze Brut an oft ziemlich wilden Gerüchten gedeihen. Infrarot-Fotografie ist davon auch betroffen.Mir begegnet in letzter Zeit besonders oft die mit großer Überzeugung vorgetragene Behauptung, Infrarotfotografie sei ja leider eine so extreme „Saison-Angelegenheit“, daß der Umbau einer Digitalkamera auf Infrarot ein unglaublicher Luxus sei. Fragt man überrascht genauer nach, kriegt man meist ungefähr folgendes zu hören:
„Na ja, wegen dem Blattgrün natürlich, Wood Effekt! Damit der so richtig gut raus kommt, braucht man das typische zarte Frühlings-Blattgrün, wie es nur von Mitte April bis Mitte Mai anzutreffen ist. Und einen ganz bestimmten Einfallswinkel des Sonnenlichts braucht man ja auch. Im Sommer steht die Sonne viel zu steil.“
Wie bitte???
Da geht’s aber wohl kräftig durcheinander!
In Wirklichkeit hängt die Intensität des Wood-Effekts (die Winter-Landschaften im Sommer) vor allem von der Menge des in den Blättern enthaltenen Chlorohylls ab. Anfang Mai ist die noch eher bescheiden. Unter anderem auch deshalb, weil am Anfang die Blätter ja noch klein sind. Tatsächlich nimmt die Intensität des Wood-Effekts in den Sommermonaten eher noch zu. Hier wird allerlei zusammen geworfen, das fast nichts miteinander zu tun hat:
Die noch sehr hellen jungen Blätter im Frühling ziehen schon seit Urzeiten viele SW-Landschaftsfotografen deshalb vor, weil nämlich grün im Vergleich zu Rottönen in eigentlich zu dunkle Grauwerte umgesetzt wurde – eine Schwäche der meisten SW-Filme. Das dann ohne jede Überlegung auf digitale Infrarot-Fotografie geradewegs zu übertragen ist schon mehr als verwegen!
Tatsache ist: Mindestens für digitale Infrarotfotos ist Anfang Mai fotografisch noch nicht so der Hit. Die folgenden Sommermonate haben durchgängig intensiven Wood-Effekt, der erst im späten September abnimmt, wenn das Laub bunt wird.
Dann war da doch noch was: der richtige Lichteinfall. Meiner Meinung nach ein weiterer Aberglaube. Natürlich ist Mittagssonne im Juli insgesamt nicht sooo begeisternd für viele Aufnahmen. Das heißt aber noch lange nicht, daß man nicht Vormittags und ab dem mittleren Nachmittag selbstverständlich auch im Hochsommer sehr wohl gelungene Infrarotfotos machen kann.