Die Seherin unter der Glocke

Warum fotografieren Sie Models? Das ist eine komische Frage? Finde ich nicht, denn Modelfotografie hat soviele Aspekte, daß man ruhig mal etwas näher drüber nachdenken sollte.

Nicht schwer zu erraten: Nach „was Realem“ sieht das nicht aus, sondern es wird wohl „was irgendwie Inszeniertes“ gewesen sein, das der Fotograf hier eingefangen hat.

Verschiedene Ebenen

Viele Hobbyfotografen geben an, daß Menschen eines ihrer bevorzugten Foto-Themen seien. Gemeint sind dabei oft die typischen Erinnerungs-Fotos von Familienfesten (Onkel Alfons mit Tante Gerda auf Opas 76. Geburtstag usw.) oder die klassischen Urlaubsbilder (Ehefrau vor dem Eiffelturm usw.) mit steif aufgestelltem, krampfhaft lächelndem viel zu klein abgebildetem Mensch vor bekannter Sehenswürdigkeit (die Botschaft lautet: guck, da waren wir – Beweisfoto!).

Wer’s etwas anspruchsvoller will, der erklärt wenigstens, bei seinen Fotos würde sich’s um Portraits handeln. Aber weit gefehlt, wenn man jetzt denkt, es hätte irgendeine zwischenmenschliche Interaktion stattgefunden. Oft greift der Fotografierer zum Tele und schießt aus sicherem Abstand. Die Bilder wirken tatsächlich meist lebendiger, weil immerhin insofern eine bewußte Bildgestaltung stattfindet als er aufmerksam beobachtet und versucht im „besten Moment“ auf den Auslöser zu drücken.

Regie kommt ins Spiel

Fotografie mit Model heißt mindestens: Der Mensch vor der Kamera weiß, daß er fotografiert wird, und es soll nicht nur ein schneller Schnappschuß werden, sondern etwas als Selbstzweck Gestaltetes soll entstehen.

Diese Art von Fotografie gibt gar nicht vor etwas zu dokumentieren (die Frage nach der Ähnlichkeit zwischen Bild und fotografiertem Mensch wird damit auch unwichtiger), sondern der Fotograf und sein Modell versuchen gemeinsam eine (im Prinzip beliebige) Idee in ein Bild umzusetzen.

Wenig genutzte Möglichkeiten

Obwohl damit ja jeder Fotograf wissen müßte, daß er hier seiner Kreativität völlig freien Lauf lassen und – wenn’s ihm grad Spaß macht – auch eine „künstliche Welt“ arrangieren kann, in der er sein Modell agieren läßt, wird auffällig wenig von dieser Freheit Gebrauch gemacht. Wenn man nämlich die Modelbilder in den großen Communities anschaut, fällt schnell auf, daß sich der Einfallsreichtum doch sehr in Grenzen hält.

Liegt’s am Fotograf oder am Model?

Man sollte sich klar drüber sein, daß Fotografie mit Model ein Gemeinschaftsprodukt entstehen läßt und deshalb drauf angewiesen ist, daß „die Chemie stimmt“ und man die gleiche Sprache spricht, was die Bildideen angeht. Ich vermute, vielen geht es nicht wirklich um perfektionierte Ergebnisse, sondern man will vor allem ein Model oder einen Fotograf nach dem anderen durch hecheln, damit man sich mit einer möglichst langen Liste an Bewertungen und Referenzen groß tun kann.

Dabei wäre es meiner Erfahrung nach wesentlich ergiebiger, mit einem Model, wo’s einfach paßt, langfristig immer wieder zusammen zu arbeiten.

Alibifunktion

Ja, die sollte man auch nicht ganz vergessen! Unter dem schönen Etikett Akt gibt’s natürlich auch die Hobbyfotografen, denen eine Peepshow dann doch nicht zusagt, aber der „Sexfaktor“ bei ihren Fotos obenan steht. Die wird man dann mit Kamera bewaffnet über die sogenannten „Erotik-Messen“ pilgern sehen oder einen möglichst schlüpfrigen „Workshop freizügiger Akt“ nach dem andern konsumieren.

Dürfen sie meinetwegen ja auch gerne – bloß ist das nicht die Model-Fotografie, die ich meine!

Ein Gedanke zu „Die Seherin unter der Glocke“

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