Vielleicht leb ich ja hinterm Mond und hab die Gründung eines Geheimbunds verschlafen. Oder es handelt sich vielleicht sogar um eine ernsthafte körperliche Störung? Oder schlimmer noch: die Kamera kaputt?
Wie auch immer, unübersehbar ist: Es werden immer mehr, die „schrägen Vögel“ mit den wild gekippten Fotos.
Vorsichtige Annäherung
Ich schalte also den „Stichelmodus“ aus und versuch’s ernsthaft: Ich frage mich, was die Botschaft ist, die Fotografen darin sehen, die Kamera mit Absicht nicht waagrecht oder senkrecht zu halten. Ist das nur ganz besonders cool, oder soll das etwas ausdrücken, das sich mir in den meisten solchen Bildern einfach nicht erschließt?
Auf der Suche nach Dynamik
Ich hab gelernt, daß ein kippendes Bild gestalterisch geeignet ist, um eine (bevorzugt schnelle) Bewegung zu unterstreichen und die Dynamik zu betonen. Soweit so gut.
Wenn ich mir aber die Mehrzahl der gekippten Fotos anschaue, fällt mir auf, daß der Effekt dem, was auf dem Bild zu sehen ist, meistens widerspricht: Da ist keine Bewegungsunschärfe zu sehen, sondern es stehen oft auf mich eher versteinert und gelangweilt wirkende Personen unverkennbar regungslos in der Gegend herum.
Man mache mal ein Experiment: Nimm eine irgendwo im Internet zusammen gesammelte Auswahl schräg gestellter Modelfotos und richte sie einfach mal gerade, so daß der Hintergrund stimmt. Oft merkt man: Jetzt ist das nur ein ganz gewöhnliches, nicht mal besonders ausdrucksstarkes Foto, an dem die Ecken schräg gestutzt wurden, und weiter nichts. Das Dynamikelement ist im Bild selber gar nicht enthalten. Es war nur ein willkürlich drüber gestülpter billiger Effekt, der auch noch fehl am Platze war.
Mein Eindruck ist:
Es wird mit der Assoziation gemogelt: Hier tobt das Leben. Der Fotograf war live dabei! Er hatte nicht mal die Zeit, die Kamera gerade zu richten. Aber er hat die Ruhe bewahrt und es geschafft, diesen einmaligen kurzen Moment im Foto einzufangen – Dramatik pur!
Das gradgerichtete Bild zeigt oft die rauhe Wirklichkeit: Ein Model spult eher teilnahmslos seine Standardposen ab und dem Fotograf fällt leider auch nix Besseres ein.
Da muß man natürlich ein bißchen mehr Dynamik ins Bild bringen, und dann wird das schon…
Falls sich übrigens jemand wundert, daß es zu diesem Beitrag keine Bilder zu sehen gibt: Ich hab’s mir lange überlegt und wollte schon. Ich fand’s aber unpassend, rein zur Illustration selber Bilder dieses Stils nachzumachen. Und über einen Link (schaut her, hier ist so einer!) jemand an den virtuellen Pranger zu stellen wäre unpassend gewesen.