Fotoschule: Porträtfotografie

Worum es in diesem Beitrag geht

Porträtfotografie wird oft abfällig als etwas Belangloses, fast Minderwertiges angesehen. Dahinter steckt dann die heimliche Botschaft: Viel lieber würde ich natürlich Akt fotografieren, aber leider konnte ich mein kostenlos aufgetriebenes Amateurmodel dazu nicht überreden.

Tut mir leid, aber das ist Unsinn: Ich finde, wer so herangeht, sollte lieber gleich auf den Fototermin verzichten, weil dann kaum was Lohnendes dabei rauskommen wird. Entweder haben Sie wirklich Lust auf Porträt - oder Sie wollen eigentlich was ganz Anderes. Dann lassen Sie es lieber sein oder suchen Sie sich halt ein bezahltes Model für das, was Sie wirklich interesiert.

Gute Porträts sind mit Sicherheit nicht einfacher als gute Aktaufnahmen. Es ist nur ein anderer Schwerpunkt, auf den es dabei ankommt.

Caro

Porträtfotografie und Schaufensterpuppengesichter

Gehen wir mal davon aus, daß unser hypothetischer Fotograf sich wirklich ernsthaft Mühe geben will. Wenn er aufmerksam ist, wird er merken, was die Schokoladenseite seines Models ist und was er besser vermeiden sollte. Das ist aber noch nicht mal die halbe Miete, denn bei Porträts steht das Gesicht im Mittelpunkt und damit auch der Ausdruck. Puppenhafte Gesichter, die auf allen Bildern gleich starr und versteinert wirken, sind meistens nicht so gewollt. Sie zeigen, daß Model und Fotograf angespannt sind. Ein natürlich wirkender Ausdruck wird dabei unterdrückt, denn man versucht bewußt oder unbewußt zu kontrollieren.

Das Ganze liest sich so leicht und einleuchtend, ist aber längst nicht so leicht in der Praxis umzusetzen. Ganz ehrlich: Ich empfinde Porträts als eine der schwierigsten Aufgaben der Menschenfotografie überhaupt. Wenn sich der Fotograf der Probleme bewußt ist, sich Mühe gibt und nicht total tolpatschig ist, wird er es warscheinlich soweit befriedigend hinkriegen, daß die Bilder vorzeigbar sind.

Zwischen »vorzeigbar« und »gut« liegen Welten

Viele übersehen, daß ein Newcomer-Model eine Art von sensibler Unterstützung braucht, die nicht bei einer einzigen Fotosession zu leisten ist. Ein halbwegs aufmerksames Model wird bald seine "Problemseiten" kennen und vermeiden. Das ist auch gut so - aber es reicht nicht: Sobald ein Model über ein paar wenige vorteilhafte Standardposen verfügt, wird sie natrürlich oft darauf zurückgreifen. Der Fotograf wird dadurch entlastet. Etwas richtig Schlimmes kann er jetzt kaum mehr anstellen (manche schaffen es doch immer wieder...). Die Porträts können sich sehen lassen - aber sie sehen überwiegend alle gleich aus. Und das macht sie ziemlich langweilig.

Das klingt weniger schwierig als es in der Realität ist. Auch routinierte Modelle sind davon betroffen. Das Problem ist, dass vor allem von Amateurfotografen meistens Aktfotografie gefragt wird. Oder anders betrachtet: Für Porträt findet sich meistens im Bekanntenkreis noch jemand. Bei Akt ist das schon deutlich schwieriger. Notgedrungen muss eine Alternative her.

Warum ist Porträtfotografie so schwierig?

Ich glaube, das wird am leichtesten verständlich, wenn man die Rollen tauscht und selbst mal für en Porträt vor der Kamera steht. Es reicht nicht einfach nur starr ins Objektiv zu blicken. Der Versuch ein ernstes Gesicht zu machen, führt oft nur zu einem griesgrämigen und verbissenen Ausdruck.

Und das Gegenteil, einfach nur »freundlich« zu schauen, ist auch nicht einfacher. Vom einfach nur blöden Gesichtsausdruck bis zum Cheese-Lächeln ist alles gleich wenig wünschenswert.

Iris

Sich beobachtet fühlen

Es ist verdammt schwer einen natürlichen Ausdruck zu bewahren, wenn man weiß, dass man gerade beobachtet wird.

Ich habe kein Problem damit auch vor einer größeren Menschenmenge zu reden. Warum es mir nicht schwer fällt? Ich habe etwas mitzuteilen. Ich kann vielleicht den Faden verlieren oder mich verhaspeln. Das sind aber nur Probleme am Rande, denn ich weiß, was ich »verkaufen« will bei meinem Vortrag, und vor allem, warum ich gerade hier vorne stehe.

Natürlich werde ich in einer solchen Situation von meinem Publikum auch beobachtet. Ich stehe aber nicht zu dem Zweck hier, um mich beobachten zu lassen, sondern ich habe etwas Konkretes zu tun als Redner. Die Beobachtung ist nur ein Nebenaspekt. Meine hauptsächliche Aufmerksamkeit liegt auf etwas anderem.

Porträtfotografie:
Was passiert zwischen Modell und Fotograf?

Ich setze hier voraus, dass zwischen beiden abgesprochen ist, dass Porträtaufnahmen gemacht werden sollen (also keine heimlichen Fotos aus dem Hinterhalt mit langer Tele-Brennweite). Weiter wird angenommen, dass nicht nur ein einzelnes schnelles Porträtfoto geschossen wird, sondern eine ganze Serie wird fotografiert.

Mit diesem Arrangement sind von vorn herein die Natürlichkeit und Unbefangenheit verloren oder mindestens deutlich eingeschränkt. Es lohnt sich deshalb an dieser Stelle ein paar Überlegungen anzustellen.

Die Interessen klären

Es kommen ja ganz unterschiedliche Konstellationen vor:

  1. Einer der beiden Beteiligten hat echtes Interesse an der Aktion, während der zweite aus Gefälligkeit mitmacht. Das reicht vom Amateurfotograf, der eben jemand "bequatscht" hat auf der Modellsuche bis hin zum Gegenteil (Ich brauch dringend paar richtig gute Bilder, weil ich mich bewerben will / die Oma 70. Geburtstag hat / usw.).
  2. Beide haben echtes Interesse an der Aktion und werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach um gute Bilder bemühen. Das ist schon mal eine gute Start-Voraussetzung. Aber auch hier lauern noch Fallen: Die Vorstellungen, was "gute Bilder" sind, können sehr abweichen (von unschuldig-naiv über lasziven Playboy-Schmollmund über "finster-coolen Blick" bis hin zu Punk-Stil).
  3. Marie

  4. Der Fotograf hat ein erfahrenes Fotomodell gebucht. In diesem Fall darf er erwarten, dass Kamerascheu kein Thema sein wird. Sehr täuschen kann man sich aber, was die Flexibilität an Posen und Gesichtsausdrücken angeht. Wer oft oder sogar hauptberuflich vor der Kamera steht, hat meistens einen Haupt-Kundenkreis mit sehr ähnlichem "Standard-Geschmack". Häufig ist das Aktfotografie, und das oft in Workshops oder Model-Sharing. Solche Fotomodelle sind nach meiner Erfahrung für Porträtfotografie nur sehr bedingt geeignet, weil ein ganz bestimmter Blick ("das kommt immer sehr gut an!") fast schon versteinert vorhanden ist und nur mit großer Mühe veränderbar ist.
  5. Kristin

Ich denke, es erklärt sich von selbst, dass ein Nicht-Zusammenpassen der Interessen der beiden Akteure stark störend sein wird und die Aussicht auf herausragende Porträt-Ergebnisse eher gering sein dürfte.

Porträtfotografie: Tipps für Einsteiger

Auch wenn lohnende Ergebnisse dem Porträt-Einsteiger nicht gleich wie Sterntaler in den Schoß fallen werden, gibt es ein paar Tipps, die den Einstieg leichter machen.

1. Distanz wahren

Jeder Mensch hat seine individuelle »Fluchtdistanz«, unterhalb derer man sich bedrängt fühlt und etwas mehr Abstand sucht. Es ist deshalb keine so gute Idee mit kurzer Brennweite zu arbeiten. Ich bevorzuge für Porträtaufnahmen meine beiden Festbrennweiten 1,2/56 mm und 2,0/90 mm (bezogen auf mein Kameraformat APS-C; bei KB gelten 85 mm bis 135 mm als der Bereich besonders "porträt-freundlicher" Objektive).

Angelina

2. Vertrauen aufbauen

Ganz besonders bei kamera-ungewohnten Menschen ist es wichtig, dass Sie von Anfang an Vertrauen aufbauen. Der Mensch vor der Kamera darf sich nicht ausgeliefert fühlen und befürchten müssen, dass gewiss eine Menge fürchterlich missratener Fotos entstehen wird. Natürlich lässt sich nicht vermeiden, dass man mal im ungeschickten Moment auf den Auslöser drückt. Mit der Digitalkamera hat der Fotograf ja aber die Möglichkeit sofortiger Kontrolle. Machen Sie vor allem am Anfang regen Gebrauch davon und löschen Sie sofort alle unvorteilhaften Aufnahmen. Zeigen Sie dann die Bilder auf dem Display Ihrem Modell.

Nicht die Menge der Bilder ist wichtig, sondern dass kein offensichtlicher Müll drunter ist!

3. Blickkontakt

Es ist nicht nötig, dass Ihr Modell ständig direkt in die Kamera schaut. Oft wirken Bilder ohne direkten Blickkontakt zur Kamera natürlicher und weniger gestellt. Es ist aber wichtig, dass der Blick nicht ins Leere geht. Es hilft sehr, wenn der Blick auf irgendein Detail in der Ferne gerichtet ist, das Konzentration nötig macht.

Tattoo

4. Wohin mit den Händen?

Wenn das Porträt nicht nur das Gesicht zeigt, sondern den Oberkörper mit einschließt, kann es erstaunlich schwierig sein die Hände so im Bild "unterzubringen", dass es nicht verkrampft und gekünstelt aussieht.

Achten Sie als Fotograf sehr bewusst auf solche scheinbare Kleinigkeiten. Mir geht es selber immer wieder die Aufmerksamkeit zu sehr auf das Gesicht gerichtet habe und ungünstige Details am Rande übersehe, wenn ich nicht routinemäßig immer wieder einen "Kontrollblick" einschalte.

Kiki

5. Beschäftigung lenkt ab

Wenn sich eine halbwegs glaubwürdige Beschäftigung bietet, die nicht zu aufgesetzt wirkt, ist es eine gute Möglickeit das Fotomodell etwas machen zu lassen. Das hat den großen Vorteil, dass man nicht lang drüber nachdenken muss, womit die Hände beschäftigt werden können. Außerdem ist es immer wieder überraschend, wie sehr eine Tätigkeit ablenkend wirken kann und den starren Blick in die Kamera überflüssig macht.

Warnen möchte ich aber vor Tätigkeiten, die in Wirklichkeit keine sind und einfach schon auf den ersten Blick künstlich wirken (in einem Buch blättern, telefonieren usw.).

Kurt beim Tippen

6. Vorsicht mit Anweisungen

Der Fotograf sollte auch zurückhaltend umgehen mit Anweisungen an sein Modell: "Schau nicht so grimmig" ist bestimmt keine gute Aufforderung, denn es enthält eine deutliche Kritik an Pose und Ausdruck des Modells. Kritik führt aber vor allem bei unsicheren Menschen vor der Kamera und noch größerer Unsicherheit. Anweisungen sollen deshalb immer in positiver Form formuliert sein und eine klar verständliche Aufforderung enthalten (tu dies, tu das, tu jenes...).

7. Schauspielerische Fähigkeiten

Nach einer gewissen "Anlauf-Phase" mit gegenseitigem Vertraut-Werden können manche Menschen erstaunliche schauspielerische Fähigkeiten entwickeln, die sich gerade in der Porträtfotografie prima nutzen lassen.

Lexa
Wenn Blicke töten könnten…

Resümee

Porträtfotografie ist alles andere als langweilig und sollte niemals nur deshalb betreiben werden, weil das Modell zu Akt nicht bereit ist. Wer unter dieser Voraussetzung heran geht, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keine lohnenden Ergebnisse erwarten können (siehe Interessen klären weiter oben).

Sehr wesentlich sind vor allem Geduld und Aufmerksamkeit für Details am Rande, die sich sehr störend auswirken können.