Fotoschule: Die Blende optimal nutzen
Worum es in diesem Beitrag geht
"Die Blende macht meine Kamera ganz automatisch. Darum muss ich mich nicht kümmern!" Das ist ein oft gehörter Satz. Die passende Automatik vorgewählt kümmert sich die Kamera tatsächlich um die korrekte Belichtung. Vielen ist aber gar nicht bewusst auf welche wertvollen Gestaltungsmöglichkeiten sie dabei verzichten.
Erfahren Sie hier mehr dazu!
Sonne lacht - Blende acht!
An diesen Merkspruch für Hobbyfotografen vor 50 bis 60 Jahren kann ich mich noch erinnern. Mein Vater hatte damals eine »Adox Golf«. Eine nicht besonders teuere Kamera mit Aufnahmeformat 6x6 cm. Der gängste Film hatte damals eine Empfindlichkeit von ISO 25 (natürlich in Schwarzweiß). Das Objektiv hatte 75 mm Brennweite bei einer Lichtstärke von 6,3. Als Blendeneinstellungen gab es noch die Werte 8, 11, 16 und 22. Als Belichtungszeiten konnte man wählen B, 1/25, 1/50, 1/100 und 1/300. Einen Belichtungsmesser hatte mein Vater nicht. Das war unnötiger Luxus. Fotografiert hat man eh nur hauptsächlich im Urlaub und vielleicht noch bei irgendeinem Familienfest. Als Belichtungszeit wurde standardmäßig 1/100 Sekunde eingestellt ("sonst wird's verwackelt!") und bei Sonnenschein ("ohne Sonne werden die Bilder eh nicht gut!") Blende 8 gewählt. Das hat dann schon gepasst.
Regel von Ansel Adams
Tatsächlich kann man die richtige Bellichtungszeit bei Sonnenschein erstaunlich gut abschätzen, wenn man sich an folgende Regel hält:
- Bei Blende 16 ist die richtige Belichtungszeit gleich 1/ISO-Wert des verwendeten Films.
Die damals verbreitete Sichtweise
Man wollte auch mit einfachen Mitteln möglichst wenig fotografischen Ausschuss produzieren. Eine teuere Fotoausrüstung hatte der durchschnittliche Amateur nicht. Es war ganz normal, dass man die Entfernung eben von Hand einstellen musste und per Schätzung den passenden Wert ermittelte. Damit ein Schätzfehler nicht gleich zu unscharfen Bildern führte, war es gut, wenn möglichst große Tiefenschärfe vorhanden war, und das bedeutet natürlich: die Blende so weit schließen wie möglich.
Bedenken Sie:
Was vor 50 und mehr Jahren noch sinnvoll gewesen sein mag, kann auf dem heutigen technischen Stand natürlich völlig anders aussehen!
- Das Filmmaterial war ein wesentlicher Kostenfaktor. Mit Digitalfotografie spielt das aber keine Rolle mehr. Ein misslungene Bild löscht man einfach, ohne dass es auch nur einzigen Cent Kosten verursacht hätte.
- Für den heutigen Fotograf ist es sebstverständlich, dass er das Ergebnis sofort kontrollieren kann. Früher mit Film war das unmöglich. - Polaroid war ein teurer und nur sehr mäßiger Ersatz.
- Heute ist es völlig normal, dass die Kamera über Autofokus verfügt und teilweise sogar erkennen kann, worauf der Fotograf gerade schaut. Manuelles Scharfstellen per Schätzung ist schon lange nicht mehr nötig. Mit Gesichtserkennung wird auch bei ganz offener Blende zielsicher auf das Auge fokussiert.
Die Situation heute
Die Blende ist gewissermaßen »befreit« worden. Es ist unnötig "zur Sicherheit" lieber eine möglichst weit geschlossene Blende zu wählen. Die Vorteile liegen auf der Hand:
- Besonders lichtstarke Objektive können voll ausgereizt werden, damit auch bei spärlichem Licht kein Stativ nötig ist und der ISO-Wert erst recht spät erhöht werden muss.
- Mit der Blende bestimmen Sie ja auch die Tiefenschärfe. Die Bildwirkung ist eine völlig andere, je nach dem, ob alles vom Nahbereich bis unendlich scharf abgebildet wird oder nur ganz gezielt ein selektiver enger Bereich.
Bewusst gewählter Schärfebereich
Viele Kameras besitzen so genannte Motivprogramme. Dahinter verbergen sich Voreinstellungen, die der Kamerakonstrukteur für verschiedene Motivgruppen als sinnvoll erachtet hat.
Wer das Motivprogramm Landschaft wählt, teilt der Kamera mit, dass er jetzt möglichst große Tiefenschärfe braucht. Die Automatik wird deshalb die Blende möglichst weit schließen. Beim Programm Porträt wird angenommen, dass nur geringe Tiefenschärfe gewünscht ist, und bei Sport wird es sich ja wohl um Bewegung handeln, also wird man möglichst kurze Belichtungszeiten brauchen.
Das mag durchaus auch ganz passabel seinen Zweck zu erfüllen. Interessanterweise fehlen solche Motivprogramme bei Kameras, die sich an eine professionellere Nutzergruppe richten, aber komplett. Man hat wohl herausgefunden, dass dort solches an die Hand nehmen nicht gewünscht ist.
Vergessen Sie die ganzen Motivprogramme! Wenn ich weiß, wie ich mit der Blende umgehen muss, kann ich das viel gezielter direkt erreichen als über den Umgang über irgendeine Motiv-Automatik, von der ich nie genau wissen kann, ob sie wirklich "der gleichen Meinung" ist wie ich.
Ein typisches Motiv, bei dem man alles scharf haben möchte vom Vordergrund bis unendlich
Großer Schärfenbereich bedeutet, dass die Blende weit geschlossen werden muss. An den eingeschalteten Straßenlaternen ist aber zu erkennen, dass es wohl schon Dämmerung war, also nicht mehr so viel Licht vorhanden. Wer hier also die Blende einfach nur stur auf 16 oder gar 22 schließt, der wird - je nach Einstellung an seiner Kamera - entweder sehr lange Belichtungszeiten brauchen und ohne Stativ heillos verwackeln, oder er muss mit sehr hohen ISO-Werten arbeiten, was stark erhöhtes Bildrauschen bedeutet.
Es ist also wichtig, dass man in einer solchen Situation nicht einfach nur irgendeiner "gut gemeinten" Automatik alles überlässt, sondern den eigenen Grips benutzt und einen sinnvollen Kompromiss findet.
Bei Porträts bevorzuge ich meistens selektive Schärfe: Das Gesicht ist das Hauptmotiv. Alles andere soll ganz bewusst in Unschärfe getaucht werden.
Geringe Tiefenschärfe bedeutet weit geöffnete Blende. Auch dabei sollte man aber nicht nach der Alles-oder-nichts-Methode vorgehen. Ich besitze eine ganze Reihe sehr lichtstarker Objektive. Ein wunderschönes Porträtobjektiv ist das Fuji XF 1,2/56 mm. Mit ganz offener Blende ist die Tiefenschärfe aber wirklich schon sehr gering. Von Fuji gibt es jetzt auch das 1,0/50 mm (das ich aber nicht habe). Die Lichtstärke ist noch um 1/2 Blende stärker. Ich glaube aber, dass man das nicht wird oft ausreizen können, weil es gerade bei Porträts unnatürlich wirken kann, wenn bei leicht gedrehtem Kopf nur noch ein Auge scharf ist und Nase und zweites Auge schon deutlich unscharf.
Mit Blende 1,2 kriegt man das noch gut hin, aber noch geringere Tiefenschärfe würde ich nicht mehr haben wollen.
Eine Aufnahme mit Blende 1,2 mit dem XF 1,2/56 mm
Die hyperfokale Distanz
Die Tiefenschärfe ist natürlich durch einen allmählichen Übergang in die Unschärfe gekennzeichnet. Wenn ich auf 5 m Entfernung fokussiere, ist es nicht von 4,90 m bis 5,20 m knackscharf und einen Zentimeter weiter bereits völlig unscharf.
Es gibt Konventionen, ab wann ein Bild als "nicht mehr richtig scharf" angesehen wird. Ich will hier nicht weiter drauf eingehen. Bei Wikipedia können Sie aber mehr dazu nachlesen, falls Sie das interessiert.
Für Landschaftsaufnahmen ist es oft von Interesse zu wissen, wie weit ziemlich genau der Schärfebereich tatsächlich reicht. Das hängt natürlich von der gewählten Blende ab, aber auch von mehreren weiteren Faktoren. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die Brennweite des Objektivs.
Um den Schärfebereich maximal nutzen zu können, ist es nicht die beste Wahl auf unendlich einzustellen, denn dabei verschenkt man ja den Teil des Schärfebereichs, der über unendlich hinaus reichen würde. Die ideale Lösung besteht darin, dass man auf einen Punkt fokussiert, der gerade um so viel "vor unendlich" liegt, dass unendlich genau am oberen Ende des Schärfebereichs liegt. Diese Einstellung ist die so genannte hyperfokale Distanz.
Um ein Gefühl dafür zu kriegen in welchen Dimensionen sich die Werte bewegen, sollten Sie mal mit diesem Rechner ein bisschen herumspielen.
Braucht man das wirklich?
Mit der klassischen hyperfokalen Distanz arbeite ich so gut wie nie, und schon gar nicht mit großer Rechnerei. Es kommt aber schon öfter mal vor, dass ich für ein Motiv ein gewisses Ausmaß an Schärfebereich brauche und dafür die Blende nicht weiter als nötig zu machen will (z.B. weil nicht besonders viel Licht vorhanden ist). Dann ist es schon nützlich, wenn man mit der Blende souverän umgehen kann:
- Anders als man vielleicht erwarten würde erstreckt sich der Schärfebereich 1/3 in die Nähe zu 2/3 in die Ferne - also nicht halbe-halbe.
Das Schild sollte natürlich auf jeden Fall scharf sein, aber das Gebäude im Hintergrund durfte ruhig schon leicht unscharf werden.
Aufmerksamkeit gezielt lenken
Das meiste zum Thema Tiefenschärfe und Blende ist bereits gesagt. Ich möchte aber nochmals an einem Beispiel zeigen, dass es eine wichtige gestalterische Funktion hat.
Selbstverständlich ist es keine Frage, dass der Honda S800 das Thema dieses Bilds ist. Es ist aber Ihre Aufgabe als Fotograf allem Nebensächlichen, Ablenkenden so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu entziehen. Man hat bei einem solchen Motiv natürlich nur begrenzte Möglichkeiten seinen Standort zu wählen, und die Leitplanken mal eben kurz abmontieren, weil sie vielleicht die Bildidee stören, das geht ja auch nicht. Das Beste, was Sie machen können, ist es deshalb alles nicht Erwünschte weniger scharf abzubilden - und genau das erreichen Sie durch geringere Tiefenschärfe.
Natürlich muss man dabei Besonderheiten beachten. Eine besteht darin, dass es sich um ein schnell bewegtes Objekt handelt, das ja trotzdem tadellos scharf abgebildet werden soll. Sehr kurze Belichtungszeit ist also nötig und ein treffsicherer Autofokus. Lassen Sie sich aber trotzdem nicht dazu verleiten "zur Sicherheit" weiter abzublenden. Das Bild würde darunter leiden, wenn Leitplanke und Strohballen genau so scharf wären wie das Auto. Es würde räumliche Tiefe verlieren.
Resümee
Ja natürlich muss man sich um die Bledeneinstellung heute nicht mehr zwingend kümmern, wenn man gerne so viel wie möglich einer Automatikfunktion überlässt. Tatsächlich kann man einer Kamera modernen technischen Standards längst sehr viel überlassen, ohne dass es deswegen noch zu nennenswerten Unter- oder Überbelichtungen kommt. Das ist erfreulich, dass etliche frühere Fehlerquellen also der Vergangenheit angehören.
Ich meine aber, dass Fotografie mehr als technisch korrekte Bilder zu produzieren bedeutet. Bewusste Bildgestaltung ist ein ganz wichtiger Punkt für anspruchsvolle Fotografie, und dabei gehört eben auch der Umgang mit Schärfe und Unschärfe dazu.
Es ist kein Hexenwerk die Auswirkung verschiedener Blendeneinstellungen in Abhängigkeit der Brennweite kennen und gezielt nutzen zu lernen. Sie eröffnen sich damit einen sehr weiten Bereich an Gestaltungsmöglichkeiten, die Sie vom Handy-Knipser sofort abheben werden.