Stationen (4)
(Mai 2016)
Was dieser Beitrag behandelt:
Ich denke öfter über fotografische Themen nach, die mich zur Zeit vermehrt interessieren. Und ich stelle fest, dass mich andere Themen, die für mich sehr fester Bestandteil waren, nicht mehr so sehr begeistern. Darüber möchte ich hier schreiben.
Technisches
Vor etwas über einem Jahr fand die »Initialzündung« statt für eine Veränderung in meiner Fotografie, wie ich sie in diesem Umfang nicht erwartet hatte: Es war der Kauf einer Fuji X-Pro1, also einer spiegellosen Systemkamera. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vor mich vom Spiegelreflexsystem zu trennen, sondern die Pro1 sollte einfach eine Nebenher-Kamera sein, die mich einfach gelockt hat wegen dem fast schon frech imitierten M-Leica-Aussehen. Und eine M6 hatte ich ja selber mal. Es war meine letzte Analog-Kamera, von der zu trennen mir damals (2004) sehr schwer gefallen ist.
Ich mach's kurz: Es ging wirklich rasend schnell, dass ich die Nikon D700 und Zubehör verkauft hab und ganz auf das Fuji-X-System umgestiegen bin. Überzeugt haben mich die großartige Bildqualität der Fuji-Objektive und das tadellose Rauschverhalten der Kamera. Obwohl die D700 ja einen Vollformat-Bildsensor und nur 12 Mio. Pixel hat, wird sie von der X-Pro1 (APS-C-Bildsensor und 16 Mio. Pixel) in puncto Rauschverhalten klar geschlagen.
Immer dabei wurde realisiert
Ich hatte die Pro1 ja dafür gedacht. Die Anfangsidee war der Kauf der Kamera und eine Normalbrennweite dazu, mehr nicht. Draus geworden ist inzwischen eine sehr feine Ausrüstung:
- 2,8/14 mm
- 1,4/23 mm
- 1,4/35 mm
- 1,2/56 mm
- 2,0/90 mm
Wie man leicht feststellen kann, sind das alles lichtstarke Festbrennweiten. Der Verzicht auf Zoom wäre nicht nötig, aber mir fehlt es einfach nicht, weil ich ja schon immer gerne mit geringer Tiefenschärfe gestalte. Bevor ich mir als bisher letztes Objektiv das 14er gekauft habe, hatte ich auch das 2,8/16-55 mm ausprobiert und in Erwägung gezogen. Das hätte mir wegen der durchgehenden Öffnung von 2,8 schon zugesagt, aber es ist groß und schwer. Mir wurde schnell klar, dass sich das mit der Immer-Dabei-Idee nicht gut verträgt.
Womit ich zu einer für meine aktuelle Fotografie wichtigen Erfahrung komme: Es liegen »ballasttechnisch betrachtet« Welten dazwischen, ob ich die X-Pro1 mit dem 35er drauf in einer sehr kleinen Fototasche mit mir rumtrage oder die Nikon D700 mit 50er drauf, die ich ja vorher hatte. Die DSLR wiegt nicht nur wesentlich mehr, sondern sie ist einfach insgesamt wesentlich voluminöser. Eine ganz normale Tasche trage ich sowieso fast immer mit mir rum (was zum Lesen drin und einen Regenschutz). Die Fuji fällt da kaum auf. Mit der D700 war die Tasche aber schon halb voll, und deshalb hatte ich sie nicht oft dabei.
Es verwundert nicht, dass man natürlich auch viele Dinge am Rande mal eben kurz im Bild festhält, wenn die Kamera halt greifbar ist. Wichtig scheint mir aber: Meine Sehweise hat sich allmählich verändert. Es ist nämlich ein Unterschied, ob ich nur etwas beim Vorbeigehen kurz wahrnehme, oder ob ich stehen bleibe, genauer hinschaue, die Kamera in die Hand nehme - und dann doch oft kein Bild mache. Ich schenke vielem jetzt mehr Aufmerksamkeit als früher.
Verzicht aufs Stativ
Das gute Rauschverhalten der Kamera habe ich ja schon angesprochen. Fotografie bei wenig Licht hatte schon immer einen besonderen Reiz für mich. Zusammen mit den lichtstarken Festbrennweiten kann man ganz gut auf ein Stativ verzichten. Selbstverständlich wäre es manchmal schön, wenn ich nicht ganz so weit hoch müsste mit der ISO-Einstellung. Ich sehe das aber unter einem anderen Aspekt: Erstens würde ich gewiss nicht »einfach nur so« das Stativ mit mir rumtragen, was bedeutet, dass ich es eben nur im Ausnahmefall dabei hätte. Wenn ich dann eine Kamera habe, mit der ich trotzdem sehr brauchbare Ergebnisse hinkriege, nehme ich das bisschen stärkeres Rauschen gerne in Kauf. Noch wichtiger finde ich aber einen zweiten Aspekt: Ein Stativ erregt immer Aufsehen. Wenn ich irgendwo auf weiter Flur alleine bin, spielt das keine Rolle. Ich fotografiere aber auch gerne Menschen, zum Beispiel in der Kneipe.
Es wäre natürlich illusorisch in einer solchen Umgebung erst ein Stativ aufzustellen, ohne dass man sofort selbst zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wird. Und es wäre sinnlos, weil die Belichtungszeit ja so sein soll, dass nicht schon kleinste Bewegungen zur Verwischung führen.
Ich hab auch früher manchmal in der Kneipe fotografiert. Die Spiegelreflexkamera fällt aber nicht nur durch ihre Größe viel eher auf, sondern vor allem durch das Geräusch beim Auslösen (der Spiegelschlag eben). Mit der kleineren und viel leiseren Spiegellosen kann man in einer Umgebung, wo man selber schon fast zum Inventar gehört (wie ich hier im Ehgner Eck, meiner Stammkneipe), nahezu unsichtbar werden und wunderbar natürliche Porträts fotografieren. Das weiß ich sehr zu schätzen, und ich möchte darauf nicht mehr verzichten müssen.
Thematisches
Ich nehme an, es wird im bisher Gesagten schon zu merken gewesen sein, dass der Wechsel der technischen Ausrüstung einige nicht unwichtige Auswirkungen auf mein Interesse für fotografische Themen hatte. So kann mich jetzt auch mehr Fotografie begeistern, die unter dem Oberbegriff »Straßenfotografie« einzuordnen ist.
Auch das hängt natürlich eng mit dem Immer-Dabei-Haben zusammen. Nicht nur schnappschussartig, sondern weil ich gerade im Straßencafé sitze und eben wirklich aufmerksamer schaue. Ich schiebe dann auch die paar wenigen Bilder, die ich gerade gemacht hab, gern gleich auf den Rechner rüber und arbeite eines aus. Es macht einfach Spaß.
Auswirkung auf lang vertraute Themen
Mir fällt auf, dass meine jetzige Fotografie auch Auswirkungen auf lang vertraute Themen hat, beispielsweise die Modelfotografie, speziell Akt. Ich mache das immer noch gerne, merke aber, dass ich in letzter Zeit dabei manchmal eine Art »unterschwellige Grund-Unzufriedenheit« empfinde. Das ist gar nicht leicht zu erklären.
Mit diesem Bild hier vom vergangenen Dezember bin ich rundum zufrieden. Natürlich ist es gestellt und inszeniert, keine Frage. Das waren meine Modelaufnahmen aber schon immer. Dieses Bild ist anders als viele, mit denen ich nicht glücklich bin. Warum? Das Künstliche des Inszeniertseins springt den Betrachter nicht sofort an, sondern bleibt ausreichend im Hintergrund. Mir kommt es so vor, dass ich genau das schon seit einer ganzen Weile einfach nicht mehr richtig im Griff habe. Ich habe auch eine Vermutung, woran das liegen dürfte: Früher hatte ich meist einige wenige Modelle, mit denen ich langfristig immer wieder zusammengearbeitet habe. Das führt natürlich dazu, dass man gut aufeinander eingespielt ist. Noch wichtiger finde ich aber, dass man auf dieser Basis gezielt gemeinsame Bildideen entwickeln kann. Der einzelne Fototermin ist dann viel effektiver, weil bereits im Detail geplant.
Bei dem hier gezeigten Winter-Akt mit Nicole hatte ich einfach Glück: Es war zwar unser erster Fototermin (wir kannten uns noch nicht - also keine optimale Voraussetzung), aber der Rauhreif an dem Morgen und das herrliche Winterlicht waren so ideal, dass wir beide ziemlich schnell eine »fotografisch gute Wellenlänge« gefunden haben. Die Umgebung, wo wir fotografiert haben, hatte ich mir am Tag davor in aller Ruhe schon angeschaut.
Spontaneität und Konzept
Seit ich die Kamera jetzt immer dabei habe und das auch genieße, fallen mir interessante Wechselwirkungen auf: Es stimmt natürlich, dass ich jetzt auch Dinge fotografiere, die früher nicht zum Zug kamen, weil ich keine Kamera dabei hatte (Handyfotos mach ich nicht wegen der mir viel zu eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeit, speziell Tiefenschärfe). Ich gehöre aber nicht zu denjenigen, die dokumentieren (z.B. jeden Tag ein Foto vom selben Baum vor dem Haus). Nicht deshalb, weil ich das total langweilig finden würde, sondern viel eher deshalb nicht, weil ich mir damit »irgendwie angebunden, verpflichtet« vorkommen würde. So was liegt mir nicht. Das würde mir den Spaß am Fotografieren vergällen.
Positiv finde ich, dass sich auch schon die eine oder andere konzeptuelle Ideen herauskristallisiert hat (so z.B. die menschenleeren Kneipen, also Impressionen und Details aus Kneipen), an denen ich arbeite. Porträts als nicht inszenierte Fotografien sind jetzt auch gelegentlich ein Thema.
Wenn ich näher darüber nachdenke, beginne ich auch zu ahnen, was mir die Modelfotografie zur Zeit etwas fade und langweilig werden lässt: Es ist das Fehlen eines Konzepts. Das war nicht immer so (auch wenn bestimmt nicht alle meine Aktserien hoch-anspruchsvoll waren). Mir wird klar, dass es kein guter Ansatz ist mit einem für mich neuen Fotomodell ein bisschen Akt einfach mal drauf los zu fotografieren, weil mir halt grad danach ist. In den Zeiten, wo die Kulisse für meine Aktfotografie fast zwingend irgendwelche alte Fabriken oder Verfallshäuser waren, hab ich immerhin mit oft erheblichem Aufwand erst die passende Location gesucht. Ein solcher Fototermin war ganz anders vorausgeplant. Spontaneität, die darin besteht, dass ich mir sage, ach, irgendwas halbwegs Brauchbares wird sich schon finden als Umfeld für die Aktaufnahmen, das hat nichts mit spontan zu tun, sondern es ist Merkmal eines mangelhaft durchdachten oder gar nicht existierenden Konzepts.
Abschließende Gedanken
Ich empfinde den Umstieg auf die Fotografie mit einer Spiegellosen von den Auswirkungen her als etwas überraschend Intensives; fast vergleichbar wie damals der Wechsel von Analog auf Digitalfotografie. Es hat neue Erfahrungen gebracht und die Fotografie für mich neu belebt. Dass dabei auch Fragen auftauchen, die mit einer gewissen Unzufriedenheit verbunden sind, finde ich nicht überraschend. Und falls sich jemand schon gewundert haben sollte, wo eigentlich die Infrarotfotografie geblieben ist: Sie ist tatsächlich ein bisschen auf ein Abstellgleis geraten, weil mich die ganz normale Fotografie so sehr beschäftigt. Weil ich nicht den Fehler »falsche Spontaneität« ein weiteres Mal machen möchte, habe ich für Infrarot momentan ein paar konkretere Ideen in Planung. Demnächst gibt's sicher was zu sehen!