Die Model-Nachtspaziergänge
(Stand November 2020)
Worum es in diesem Beitrag geht
Die Idee zu meinem Projekt "Model-Nachtspaziergänge" geht zurück auf das Jahr 2006 und hat sich im Lauf der Jahre weiter entwickelt. Ich möchte hier erzählen was dahinter steckt und wie ich es heute sehe.
Damals und heute
Es hat mich schon immer stark gereizt bei spärlichem vorhandenem Licht zu fotografieren. 2006 war die digitale Fototechnik im Vergleich zu heute noch recht bescheiden was Rauschen und Empfindlichkeit angeht und auch die Möglichkeiten der Ausarbeitung der RAW-Daten waren noch sehr begrenzt. Tatsächlich war mir damals noch gar nicht wirklich klar worin die Verwendung von RAW liegen würde (nämlich darin, dass man später mit deutlich leistungsfähigererem RAW-Konverter aus den Bildern noch viel mehr rausholen können würde), und so hab ich noch etliche Jahre ganz faul mit JPG fotografiert.
Meine damalige Kamera (eine Fuji FinePix S2 Pro) war bei ausreichendem Licht ein feines Gerät, aber es war nicht ratsam auf mehr als ISO 400 zu gehen, wenn man nicht das dann auftretende starke Bildrauschen haben wollte.
Es blieb nicht viel anderes übrig als die Bilder merklich weichzuzeichnen um das unerwünschte Bildrauschen wenigstens halbwegs zu unterdrücken. Es ließ sich damit leben, aber wirklich glücklich war ich damit nicht.
Okay, mit der nächsten Kamera (eine Nikon D300) war alles schon deutlich besser geworden. ISO-Einstellungen bis 1600 waren jetzt durchaus realistisch mit noch sehr erträglichem Bildrauschen. Das war doch eine ganz andere Klasse! Bei echten Nachtsituationen mit sehr spärlicher Beleuchtung war aber immer noch ein Stativ nötig. Besser als nichts, aber wirklich freies Fotografieren bedeutete das halt doch nicht.
Das Schaufenster rechts liefert großflächig ausreichend Licht - eine tadellose riesige "Lichtwanne"
Die Beweglichkeit war noch etwas eingeschränkt und die Belichtungszeiten waren für Freihand-Aufnahmen noch nicht gut geeignet, aber wenigstens ließ die Bildqualität nichts mehr zu wünschen übrig - ein erheblicher Fortschritt, meine ich!
Der qualitative Sprung
Mit dem Umstieg auf die spiegellosen Fuji-Kameras war das Rauschverhalten nochmals deutlich besser geworden, dass auch ISO 3200 durchaüus nutzbar geworden war. Weil ich auch eine ganze Reihe sehr lichtstarker Objektive mit Blendenöffnng 1,4 hatte, war jetzt das Stativ überflüssig geworden. Noch eins drauf gesetzt hat dann die Fuji X-H1 mit ihrem ausgezeichneten Bildstabilisator. Damit ist auch für Aufnahmen bei extrem wenig Licht immer noch uneingeschränkte Freiheit gegeben - einfach herrlich!
Die Idee hinter den Model-Nachtspaziergängen
Ganz am Anfang war es einfach der Reiz mit entsprechendem überschaubarem Aufwand nicht nur nächtliche Straßenszenen fotografieren zu können sondern auch einen Mensch im Vordergrund zu haben.
Im Januar 2006 mit Lexa in Wien
Weil ich Blitz verabscheue und schon damals grundsätzlich immer mit dem vorhandenen Licht auskommen wollte, war es eine wesentliche Voraussetzung Orte zu finden, wo genug Licht vorhanden war. Ich habe schnell gelernt dass dafür ein sehr aufmarksames Auge nötig war. Der Helligkeitsumfang war im Vergleich zu heute noch stark begrenzt und ausgefressene Lichter und zugelaufene Schatten waren ein Problem. Ich empfand das nicht als Ärgernis, sondern als Herausforderung, die die Nachtaufnahmen noch spannender machten.
Auf der Strudelhofstiege, ebenfalls im Januar 2006 aufgenommen. Die Kontraste waren deutlich an der Grenze dessen, was meine damalige Kamera verkraften konnte.
Kleine neckische Szenen
Gemeinsames Merkmal meiner Model-Nachtspaziergänge sind kleine neckische Szenen, wie man sie in der "normalen" nächtlichen Umgebung nicht erwartet. Ja, man soll ruhig sehen, dass das natürlich alles inszeniert ist. Aber es sind Inszenierungen eben nicht im Studio, sondern draußen in vorgefundener Kulisse.
Im Großen und Ganzen ist dieses Thema bestehen geblieben. Mit den aktuellen fototechnischen Möglichkeiten ist meine Aufmerksamkeit der fotografischen Seite wesentlich stärker zugeneigt worden.
Mein »Outdoor-Studio«
Dass ich absolut kein Studio-Fotograf bin, das dürften die meisten bereits mitgekriegt haben. Das hat zwei Gründe:
- Fotografie im Studio ist mir zu steril.
- Ich bin einfach zu faul und bequem jedes mal alles auf- und wieder abzubauen.
Draußen in der banalen Wirklichkeit lässt sich so viel finden, das eine gute Kulisse auch für Model-Aufnahmen abgibt. Es geht dabei nicht darum nach einem Sinn des Arrangements zu fragen, sondern sogar im Gegenteil: Ich finde, je weniger Sinnhaftigkeit bleibt, um so klarer soll ruhig rüber kommen, dass der Ort, den ich gewählt habe, eine Kulisse, ein Hintergrund ist für meine Model-Fotografie. Wenn ich dann noch eins drauf setze indem ich ganz bewusst bei Nacht fotografiere, bekommt die ganze Szenerie etwas noch Unwirklichereres, Kulissenhaftereres. Genau das will ich erreichen.
Nur ein Joke oder mehr?
Ich gebe zu, dass am Anfang kein besonders tiefschürfendes Konzept dahinter steckte: Es war der technische Reiz von Nachtaufnahmen verbunden mit einem Touch Erotik ohne vielen Überlegungen. Es war viel Probiererei dabei, und da wäre es frustrierend gewesen das mit einem aufwendigeren Konzept zu verknüpfen, wenn es nachher vielleicht doch aus technischen Gründen nicht das gebracht hätte, das nötig gewesen wäre.
Heute ist das anders. Der technische Ausschuss ist nur noch minimal. Trotzdem macht es mir nach wie vor Spaß zusammen mit meinem Modell kleine Szenen zu erarbeiten, so wie hier aktuell Mitte November zur Zeit des Corona-Lockdown in den leergefegten Straßen der Kaiserslauterer Innenstadt:
Wie schon gesagt geht es mir nicht darum todernste Themen bei den Modelspaziergängen abzuarbeiten, sondern es soll ruhig mehr oder weniger deutlich ein Augenzwinkern in den Bildern eingebaut sein, dem der Betrachter ansieht dass Fotograf und Modell Spaß bei der Sache hatten - so wie hier spät abends auf dem Bahnhof von Kaiserslautern:
Auch der Titel »Model-Nachtspaziergang« ist natürlich nicht ernst zu nehmen, sondern er soll ganz bewusst viel Freiraum für die Umsetzung lassen. Das soll heißen, dass eben jedes Umfeld, dem wir dabei begegnen, als Kulisse dienen kann. Selbstverständlich ist dabei das Outfit nicht an die Garderobe eines braven spätherbstlichen Nachtspaziergangs gebunden. - Hier eine Szene im fast komplett leeren nächtlichen Parkhaus:
Blickkontakt als wichtiges Element
Mit wenigen Ausnahmen hat das Fotomodell fast immer direkten Blickkontakt zur Kamera. Das ist kein Zufall, sondern ich möchte dadurch vermeiden dass der Eindruck eines versteckten Beobachters oder vielleicht sogar Voyeurs aufkommt. Die Bilder sind gemeinsames Produkt von der Zusammenarbeit von Modell und Fotograf. Oft sind die Ideen der einzelnen kleinen Szenen auch gemeinsam entwickelt worden. Der direkte Blickkontakt immer wieder in die Kamera soll das ausdrücken.
Ich sehe mich generell bei meiner Modelfotografie nur ungern als Regisseur, der Anweisungen gibt. Manchmal lässt sich das nicht vermeiden, aber dann ist das sehr oft auch ein Zeichen dafür, dass der so wichtige gemeinsame Draht leider fehlt.
Ein paar technische Anmerkungen
Es versteht sich von selbst dass der Lichtsituation hohe Bedeutung zukommt. Tatsächlich braucht man davor aber keine große Angst zu haben, wenn einige Grundvoraussetzungen gegeben sind:
- Auf lichtstarke Objektive sollte man nicht verzichten, denn sie sind das A und O für Flexibilität. Zoom-Objektive halte ich für ungeeignet, weil die Lichtstärke zu gering ist. Festbrennweiten mit mindestens Blende 2 sind ideal, lieber noch Blende 1,4.
- Ein Bildstabilisator sollte ebenfalls vorhanden sein, damit man guten Gewissens das Stativ daheim lassen kann.
- Auch wenn der Bildstabilisator je nach Objektiv Belichtungszeiten von 1/8 Sekunde oder länger ermöglicht, sollte man das lieber nicht ausreizen, denn man hat schließlich einen Mensch vor der Kamera, der nicht wie eingefroren da stehen sollte. 1/30 Sekunde ist nach meiner Erfahrung aber noch ein recht brauchbarer Kompromiss.
- Dem Lichteinfall sollten Sie viel Aufmerksamkeit schenken, denn sehr unvorteilhafte Schlagschatten übersieht man nur zu leicht. Oft reicht schon eine kleine Körper- oder Kopfdrehung, um das Problem zu beseitigen.
Resümee
Meine Model-Nachtspaziergänge sind ein Langzeitprojekt, das inhaltlich nur ganz grob festgelegt ist. Ein wesentliches Moment ist Menschenfotografie nachts ausschließlich nur bei vorhandenem Licht. So viel zur technischen Seite. Wichtig ist mir aber auch eine möglichst gute Zusammenarbeit, damit die Bildideen gemeinsam entwickelt werden können.
In vielen Bildern der Model-Nachtspaziergänge spielt eine erotische Komponente eine Rolle; das ist aber meistens nur von begleitender, oft nur unterschwelliger Ausprägung.
Mir ist es wichtig, dass das vorgefundene Licht optimal zur Geltung kommt. Ich sehe das zusammen mit den Merkmalen der Location als mein »Outdoor-Studio«.