Fotoschule: Automatik oder manuell?

Im Dschungel der Automatiken

Fast jede Kamera hat heute eine Vielzahl unterschiedlicher Automatiken. Oft ist guter Rat teuer: Wann soll ich was verwenden? Oder bekomme ich bessere Bilder, wenn ich ganz manuell arbeiten würde? Oder kann ich vielleicht sogar alles einer Vollautomatik überlassen? Diese Lektion bringt Licht in das Dunkel.

Eine überholte Vorstellung

Fragt man Anfänger, was sie am vorrangigsten lernen wollen, kriegt man oft zu hören: "Ich möchte mit meiner Kamera im manuellen Modus fotografieren können!" Dahinter steht ein ziemlich kurioses Verständnis von "manuell". Was auch immer es genau sein mag, muss es auf jeden Fall "etwas Besonderes, Besseres" sein. Etwas, mit dem man Dinge tun kann, die jedem Automatikprogramm wohl verschlossen bleiben müssen.

Warum möchte man manuell fotografieren?

Ich meine, realistisch betrachtet gibt es dafür nur zwei Argumente:

  1. wenn die Automatik ihre Arbeit merklich schlechter erledigt als ich das kann
  2. wenn die Bedienung der Automatik sehr umständlich ist, lang dauert oder einfach nur nervt

zu 1.):
Diese Zeiten sind zum Glück weitgehend vorbei. Die allermeisten Automatikfunktionen moderner Kameras sind heute sehr leistungsfähig und verrichten ihre Aufgabe teilweise exakter als ein Mensch das kann. Beispiel Autofokus: Ich bin Brillenträger und kein Adlerauge mehr. Ich würde auf jeden Fall deutlich länger brauchen, um z.B. bei Blende 1,2 überhaupt scharf zu stellen. Und dann wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit immer noch nicht so exakt wie das die Automatik in lächerlich kurzer Zeit schafft.
Argument Nr.1 wird man weitgehend abhaken können.

zu 2.):
Ja, es gibt Automatiken, die nicht das tun, was ich mir vorstelle. Das kann daran liegen, dass ich die Funktionsweise falsch verstehe (eventuell ist es nirgends verständlich erklärt oder ich war einfach zu faul das zu lesen) oder dass der Konstrukteur meint, das müsse eben so und nicht anders sein - basta. Das nervt dann.
Es gibt aber auch Kameras, die sind dermaßen mit Automatikfunktionen überfrachtet, dass man oft mangels Überblick zum Falschen greift. Es hätte eigentlich was viel besser Passendes gegeben, aber vor lauter Bäumen hab ich den Wald nicht gesehen und hab's nicht gemerkt.
Argument Nr.2 sollten wir uns genauer anschauen.

Was folgt daraus?

Rein technisch betrachtet spricht heute wirklich nichts mehr gegen Automatikfunktionen an der Kamera. Die Schattenseite liegt lediglich darin, dass es ein Überangebot an Automatiken gibt, von denen viele gezielt als Angebot an solche Fotografen gedacht sind, die insgesamt nur wenig Ahnung haben und froh sind, wenn ihnen möglichst viel aus der Hand genommen wird. Hierzu willkürlich ausgesucht zwei Beispiele:

  • Motivprogramm Landschaft
  • Motivprogramm Porträt

Von der Nutzung solcher Motivprogramme rate ich eher ab. An sich ist der Grundgedanke nicht schlecht: Es sind Automatiken, die gezielt "zurecht gestutzt" sind: Für Sport braucht man meistens besonders kurze Belichtungszeiten. Für Landschaftsaufnahmen wollen viele Fotografen möglichst große Tiefenschärfe. Und für Porträtaufnahmen ist meistens eher wenig Tiefenschärfe gern gesehen.

Das mag ja ein gar nicht dummer Ansatz sein. Ich kann mich damit aber trotzdem nicht anfreunden. Dazu zwei Beispiele:

Steinmann
Eine Landschaftsaufnahme, oder etwa nicht? Tatsächlich wollte ich aber das "Steinmännchen" im Vordergrund herausheben. Deshalb habe ich die Blende nur mäßig weit geschlossen.

Porträts
Ganz klar, Motivprogramm Porträt natürlich! Nee, denkste: Die weit offene Blende hätte hier dazu geführt, dass das zweite Model durch die räumliche Entfernung schon ziemlich unscharf geworden wäre, und die Bildidee wäre kaputt gewesen.

Welchen Sinn haben Motivprogramme wirklich?

Motivprogramme richten sich an Knipser, die sich maximale Unterstützung durch automatisierte Funktionen wünschen. Es sind nichts anderes als »Foto-Einstellungen aus der Konservendose« - ein Mix vorbereiteter Einstellungen, die über Pictogramme aktiviert werden können. Alle Motivprogramme sind in Wirklichkeit nichts anderes als voreingestellte Funktionen der Programmautomatik, von denen der Konstrukteur der Kamera vermutet, dass sie zu Fotos, wie sie das jeweilige Pictogramm symbolisieren soll, ganz gut passen. Es ist aber kein Zufall, dass Kameras aus dem professionelleren Bereich überhaupt keine Motivprogramme haben, denn wer sich auskennt, kann mit Zeitautomatik, Blendenautomatik oder Programmautomatik mit Shift (= individuelle Anpassung des Programms) das gleiche Ziel schneller und zielgerichteter erreichen.

Empfehlung:

Es lohnt nicht sich mit Motivprogrammen näher abzugeben, denn es sind nur schön verpackt vorbereitete Einstellungen der Programmautomatik, die Sie auf direktem Weg schneller und gezielter erreichen können.

Die am besten passende Automatik

Ein Patentrezept kann ich Ihnen nicht geben. Zu einem nicht unerheblichen Anteil ist es nämlich Geschmackssache, also persönliche Vorliebe, welche der Automatiken man hauptsächlich verwendet. Bei meiner Kamera gibt es vier zur Auswahl:

  1. Blenden-Vorwahl
  2. Zeit-Vorwahl
  3. Programmautomatik
  4. ISO-Automatik

Präferenz und warum

Ich möchte das an meiner eigenen Vorliebe genauer erklären. Ich gestalte sehr viele meiner Bilder so, dass ich genau darauf achte, wie sich die Schärfe im Bild verteilt. Fast immer haben meine Bilder ein Hauptmotiv, also etwas, auf das ich die Aufmerksamkeit des Betrachters hinlenken möchte. Deshalb ist aufnahmetechnisch betrachtet für mich der gezielte Umgang mit der Tiefenschärfe sehr wichtig. Die Steuerung der Tiefenschärfe erfolgt durch die Blende. Deshalb ist für mich die Automatik mit Blenden-Vorwahl die praktischte.

Mercury
Mercury Blues and Rock'n'Roll Band

Schauen wir uns mal die technischen Daten dieser Aufnahme an:

  • Kamera: Fuji X-Pro1
  • Brennweite: 56 mm (APS-C)
  • Blende: 1,4
  • Belichtung: 1/160 Sekunde
  • ISO 2500

Angestellte Überlegungen...

Die Wahl der Brennweite ergab sich überwiegend aus den räumlichen Gegebenheiten, also wie nah ich ran konnte usw. Ein Blick auf den ISO-Wert macht sofort klar, dass das Licht eher von der spärlichen Sorte war. Es wäre also wegen der Lichtstärke keine Alternative gewesen zum Tele-Zoom zu greifen. Beim 56er kann ich maximal bis Blende 1,2 aufmachen. Das hätte ich gerne genutzt, aber der Autofokus der Pro1 ist nicht gerade von der schnellsten und exaktesten Sorte. Deshalb habe ich vorsichtshalber wenigstens auf Blende 1,4 abgeblendet, um ein kleines bisschen mehr Spielraum zu haben. Die Pro1 ist schon ein paar Jahre alt und hat auch noch keine Gesichtserkennung. Ich musste also selber darauf achten, dass an der richtigen Stelle fokussiert wird. Die 1/160 Sekunde habe ich als Grenze vorgegeben, weil sonst die Bewegungs-Unschärfe störend geworden würde. Für die Empfindlichkeit ergab sich daraus bei dieser Aufnahme ein Wert von ISO 2500, den die Automatik durch die Einstellung Auto-ISO ermittelt und eingestellt hat.

...und vorgenommene Einstellungen

Spontan geantwortet hätte ich: "Ich hab die Blende vorgewählt, Rest war Automatik." Ganz so stimmt es aber nicht, denn die 1/160 Sekunde ist ja nicht vom Himmel gefallen. Die entscheidende Automatik, die ich hier genutzt hab, war die ISO-Automatik. Ich habe mich schon so selbstverständlich dran gewöhnt, dass ich diese Automatik immer an habe, auch bei reichlich Licht. Das Praktische daran ist nämlich, dass ich in der ISO-Automatik gleich mehrere Rahmenbedingungen festlegen kann:

  • bevorzugter ISO-Wert
  • maximaler ISO-Wert
  • längste Belichtungszeit

Als bevorzugten ISO-Wert stelle ich grundsätzlich immer 200 ein (bei meiner Kamera bestes Rauschverhalten). Als maximalen ISO-Wert habe ich immer den höchsten der Kamera eingestellt (bei der Pro1 also 6400). Und die Belichtungszeit nach Bedarf (hier eben 1/160). Die Blende 1,4 habe ich direkt am Objektiv fest eingestellt. Die Kamera misst also die Helligkeit, gleicht ab mit der Belichtungszeit, die nicht länger als 1/160 Sek. sein soll, und stellt fest, dass die gewünschten ISO 200 für korrekte Belichtung nicht reichen ⇒ ISO 2500 wird ermittelt und eingestellt. Falls es wesentlich heller geworden wäre, würde ISO bis runter zu 200 gesetzt. Wenn das noch immer nicht reicht, wird jetzt die Belichtungszeit so lange verkürzt bis es passt.

Würde es auch anders gehen?

Ja, bestimmt lässt sich ein gleichwertiges Resultat auch z.B. mit der Programmautomatik erreichen, indem man die Kurven entsprechend verschiebt ("shiftet"). Ich arbeite damit aber nie, weil ich eben die oben beschriebene Lösung für mich sehr gut finde. Ich behaupte aber ganz bestimmt nicht, dass das die einzige oder gar die allerbeste wäre. - Das muss jeder für sich selber rausfinden, und wahrscheinlich ist es von Kameratyp zu Kameratyp so wie so wieder anders.

Empfehlung:

Es gibt nicht die Eier-legende-Wollmilchsau und dementsprechend auch nicht die eine für alle Fotografen und alle Anwendungen glückselig machende Universal-Lösung. Das ist aber auch nicht schlimm. Probieren Sie aus, was Ihnen am besten liegt! Wenn Sie diese Lektion aufmerksam durchgelesen haben, dann wissen Sie jetzt, dass Motivprogramme eher Augenwischerei sind, dass man aber mit den verbleibenden Programmen guten Gewissens professionell arbeiten kann und es heute keinen Vorteil mehr bringt komplett rein manuell zu arbeiten.