Fotoschule: Bildgestaltung

Was Sie hier erwartet

Es gibt ganze Bücher voll mit Gestaltungsregeln an die man sich wie an Kochrezepte halten kann. Davon halte ich aber nicht viel. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mich am Anfang meiner fotografischen Zeit mit großer Ausdauer bemüht habe "endlich bessere Bilder" hinzukriegen. Zuerst dachte ich, es würde an mangelndem Technikwissen liegen. Dieses Wissen konnte ich mir aber bald aneignen - aber meine Bilder blieben so langweilig wie zuvor.

Ich habe dann einen VHS-Fotokurs nach dem anderen absolviert und eine Menge Regeln kennengelernt (angefangen meistens mit dem Goldenen Schnitt), aber es hat sich immer noch nicht viel verändert. Ich war damals auf der Suche nach fotografischen Kochrezepten. Dieser Weg hat nicht zum Ziel geführt. Deshalb will ich Ihnen das auch gleich ersparen.

Ich will ganz pragmatisch vorgehen: Schauen wir uns einfach ein paar ausgewählte Beispiele an und sehen dabei genauer hin!

Andreas Feininger

Eines Tages kam mir ein Fotobuch von Andreas Feininger in die Hände. Eine Feststellung darin öffnete mir die Augen: "Auf den meisten Bildern ist zu viel drauf." Und ein paar Seiten weiter ein sehr wichtiger Ratschlag: "Fotografiere nichts, das dich nicht wirklich interessiert."

Beides hat mir damals viel zu denken gegeben: Ein Blick auf meine Fotos zeigte sehr deutlich, dass ich - ohne dass mir das damals bewusst war - eine starke Tendenz hatte "alles" aufs Bild drauf zu kriegen. Das soll heißen: alles, was ich am Ort der Aufnahme gesehen habe. Und um Gottes Willen niemals etwas anschneiden! So war damals meine Arbeitswese.

Mir war damals nicht bewusst, dass das menschliche Auge ja völlig anders funktioniert als ein Kameraobjektiv: Unser Auge ist gewissermaßen eine Kombination aus einem starken Weitwinkel und einem starken Tele. Nur dort, wo wir im Moment genau hinschauen, sehen wir wirklich scharf (in einem Winkel von nur etwa 2°). Das WW-Bild hat dabei nur den Zweck uns zu warnen, wenn etwas vom Bildrand her auf uns zukommt. In einem fotografischen Bild kann man beide Funktionen zusammen aber nicht vereinen.

Was meint Feininger mit "zu viel drauf"?

Suchen Sie mal ein paar eigene Bild raus und fragen Sie sich kritisch, was Sie wirklich fotografieren wollten. Sehr oft geht das eigentliche Hauptmotiv in einer Flut belangloser Dinge aus dem Umfeld unter.

Tipp:

Nehmen Sie ein eigenes Bild, das Ihnen ganz gut gefällt, aber dem irgendwie noch "der letzte Pfiff" fehlt. Fassen Sie den Bildausschnitt etwas enger. Dann noch etwas enger. Wiederholen Sie das so lange, bis es nicht mehr geht ohne etwas wirklich Bildwichtiges dabei zu verlieren.

Hier ein Beispiel:

Landschaft original
Das Bild im Original

Ein durchschnittliches Landschaftsbild. Nicht hässlich, aber ich finde, es gibt drauf zu viel Unwichtiges, in das sich das Auge verirren kann. Vor allem der Vordergrund, also die linke untere Bildecke, hat zu wenig zu bieten. Als ich die Aufnahme gemacht habe, dachte ich, das wäre gestalterisch nötig um dem Bild genug räumliche Tiefe mit zu geben. Im Nachhinein habe ich aber festgestellt, dass der Nachteil durch die langweilige Ecke größer ist.

Landschaft beschnitten
Stark beschnittene alternative Ausarbeitung

In der stark beschnittenen Version mit anderem Weißabgleich und mehr Kontrast wirkt das Bild wesentlich "aufgeräumter". Es fehlt kein bisschen an räumlicher Tiefe, da die Staffelung in drei hintereinander liegende Ebenen jetzt viel deutlicher auffällt ud diese Aufgabe bestens übernehmen kann. Die Berge erscheinen jetzt wesentlich beeindruckender und "greifbarer". Kein einziges Bildelement von Belang ist verloren gegangen.

Eine Frage des persönlichen Interesses

Wie wählen Sie Ihre Fotomotive aus? Als ich noch Foto-Neuling war, bin ich oft mit meiner Kamera sehr ungezielt losgezogen und habe gehofft, dass mir die lohnenden Motive schon von selbst "vor die Kamera springen" würden. Oft war das aber nicht der Fall, und weil ich ja nicht ganz unverrichteter Dinge zurück kommen wollte, hab ich wenigstens "irgendwas" geknipst. Jawohl: geknipst, nicht fotografiert. Entsprechend enttäuschend waren dann auch meistens die Ergebnisse.

Merklich besser wurde alles erst, als ich mir längerfristige Themen vorgenommen waren. Bäume fand ich schon immer einfach schön. Also wurde das mein erstes fotografisches Thema. Natürlich wollte ich nicht so viel wie möglich Bäume fotografieren, sondern ich war auf der Suche nach besonderen Bäumen.

Baum im Schnee

Es kamen noch weitere Themen, die dann erst richtig mein Interesse weckten: alte Industrieruinen oder jegliche Gebäude im Verfall. In den 80er Jahren war so etwas noch wesentlich leichter zugänglich als heute. Mich faszinierten die Spuren des Verfalls, der noch gar nicht so lange her war.

Haus im Verfall

Bildgestaltung braucht Zeit

Ich bin bisher immer noch nicht näher darauf eingegangen was ich mit Bildgestaltung meine. Das möchte ich jetzt nachholen.

Von der Idee zur Umsetzung

Abgesehen von reinen Schnappschüssen, die eher zufällig ein besonderes Bild ergeben, liegt den meisten bewusst gestalteten Bildern eine Bildidee zugrunde. Ich gehe der Einfachheit halber davon aus, dass Sie das Motiv, das Sie ablichten wollen, bereits gefunden haben. Nur der Knipser nimmt die Kamera ans Auge, positioniert meistens das, worauf seine Aufmerksamkeit gerade fällt zentral in der Bildmitte und drückt ab - fertig!

Von einer bewussten Gestaltung kann dabei keine Rede sein. Der Fotograf sollte mehr Sorgfalt aufbringen, nämlich mindestens so viel:

  1. Welches sind die wichtigen Bildelemente, die ich auf meinem Bild drauf haben möchte und warum?
  2. Stimmt die Entfernung, in der ich gerade stehe? Geht es besser?
  3. Passt die Perspektive und das Verhältnis Vordergrund zu Hintergrund? Was könnte vielleicht noch besser werden?
  4. Sollte ich vielleicht doch noch dichter ran gehen?
  5. Welche Brennweite ist die beste für die Bildwirkung, wie ich Sie mir vorstelle?
  6. Welche Blende und welche Verschlusszeit sollte ich wählen? - Tiefenschärfe, Bewegungsunschärfe.

Die Liste lässt sich noch fortsetzen, aber ich beschränke mich hier auf die wichtigsten Punkte. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass man diese Fragen nicht mit einem einzigen Wimpernschlag abhandeln kann, sondern dass man sich ein Mindestmaß an Zeit nehmen muss, um sinnvolle Bildgestaltung betreiben zu können.

Aufmerksames Beobachten ist wichtig

Natürlich hat man nicht bei jedem Motiv die Gelegenheit in aller Ruhe zu arbeiten ("Stopp, noch mal zurück und alles von vorne bitte!"). Das ist aber auch gar nicht nötig. Gerade bewegte Szenen spielen sich in ganz ähnlicher Form immer wieder ab. Achten Sie genau darauf, wie sich die Szene abspielt. Oft ist zu erkennen, an welcher Stelle und in welchem Moment des Ablaufs das fotografisch interessanteste Arrangement entsteht. Die meisten modernen Kameras sind schnell genug um in Serienbild-Einstellung eine Szene nicht nur in einem Einzelbild einzufangen, sondern man lässt den Finger einfach für 1-2 Sekunden auf dem Auslöser und wählt nachher ganz entspannt eben das Einzelbild aus, das den besten Sekundenbruchteil eingefangen hat.

Radler auf der Brücke
Radfahrer und Fußgänger auf der Brücke.

Natürlich war das nicht der einzige Radfahrer auf dieser Brücke. Der Radler sollte mein Hauptmotiv bei diesem Bild sein, aber die Fußgänger auch nicht völlig unwichtig. Wenn man eine Weile beobachtet, bemerkt man bald, dass es unterschiedlich "fotogene" Szenen gibt. Ich habe deshalb ein paar Minuten gewartet, und als abzusehen war, dass es dieses Mal gut passen würde, habe ich abgedrückt. Ich habe weit offene Blende gewählt um sehr selektive Tiefenschärfe nur auf den Radler zu erhalten.

Tipp:

Lassen Sie sich Zeit, wenn Sie etwas gefunden haben, das Ihnen interessant erscheint! Oft ist der erste Eindruck nur der Zweitbeste. Erspüren Sie, worin der besondere Reiz des Motivs liegt. Manchmal merkt man dann erst, dass es doch keine Aufnahme lohnt, weil es zu nichtssagend ist. Auch kein Drama, dann gehen Sie eben weiter. Einen Versuch ist es aber immer wert.

Die magische Ausrichtung zur Bildmitte hin

Es mag wohl damit zusammenhängen, dass man beim Blick in den Sucher fast automatisch erst mal zur Bildmitte geleitet wird. Das ist nicht schlimm, aber Ihnen sollte bewusst sein, dass diese Position für das Hauptmotiv oft die langweiligste ist. Es gibt anders als man das manchmal lesen kann kein Verbot für die Bildmitte, aber wenn Sie etwas dort platzieren, dann sollte das sehr bewusst geschehen und niemals "einfach nur so". Es sollte Ihnen dabei klar sein, dass mittig aufgebaute Bilder einerseits oft Ruhe ausstrahlen, aber auch Gefahr laufen etwas langweilig zu wirken.

Wie gesagt, ein zentraler Bildaufbau ist nicht von sich aus schlecht, aber er erzeugt eine ganz andere Bildwirkung als ein nicht zentraler:

Frankfurt Bahnhof Version 1
Version 1

Frankfurt Bahnhof Version 2
Version 2

Vergleichen Sie die Bildwirkung dieser beiden Bilder, von der selben Stelle aus aufgenommen. Ich meine, sie machen gut deutlich, dass man nicht ein "drauf halten" soll, sondern sich ganz bewusst überlegen sollte, welche Wirkung man erzielen möchte.

Zug

Schauen Sie sich die Bildgestaltung bei diesem Zug-Bild genau an: Auf den ersten Blick wird das Bild durch die offene Tür ziemlich genau in zwei Hälften geteilt - eigentlich nicht besonders originell, kann man meinen. Das Bild ist aber vollgestopft von vielen kleinen Details, die erst auf den zweiten Blick auffallen (der Mann ganz rechts, der grell grüne Schuh in der Mitte, der angeschnittene Junge weiter links...). Das erzeugt Aufmerksamkeit und lockt zum genauer Hinsehen. Die Blickrichtung des Mannes rechts und der perspektivisch zulaufende Wagen vermitteln den Eindruck, dass der Zug jeden Moment gleich wieder weiter fahren wird. Einerseits ist es ein ruhig komponiertes Bild, aber andererseits herrscht auch eine Portion Dynamik,die durch den rechts und links sehr knapp gehaltenen Beschnitt betont wird. Es kann oft interessant sein mit solchen Gegensätzen zu arbeiten.

Die eigene fotografische »Handschrift« entsteht

Wer sich regelmäßig mit der bewussten Gestaltung seiner Bilder befasst wird allmählich eine eigene Bildsprache entwickeln: Die Bilder werden dem Fotograf zuordenbar. Ein Betrachter, der schon viele Ihrer Bilder gesehen hat, wird nach und nach Ihren persönlichen Stil erkennen.

Es wäre kein sehr erfolgversprechender Ansatz jetzt einfach zu beschließen: "So, ab sofort entwickle ich meine Bildsprache, morgen geht's los!" Sie können aber tatsächlich etwas tun, um auf diesem Weg voran zu kommen:

Empfehlung:

Viele fotografische Aufgaben kommen immer wieder vor, z.B. der Umgang mit räumlicher Tiefe oder mit Bewegung. Es gibt ganz unterschiedliche brauchbare Ansätze dafür. Sie werden bald merken, dass Ihnen manche besser zusagen als andere. Entsprechend werden Sie die auch häufiger benutzen.

Ich setze räumliche Tiefe sehr gerne durch sehr geringe Tiefenschärfe um (siehe weiter oben das Radfahrer-Bild). Bewegung symbolisiere ich oft durch perspektivisch zulaufende Linien.

Experimentieren Sie viel. Sie werden bald merken, dass Sie ein zunehmend sichereres Gefühl dafür bekommen, was für Ihren sich entwickelnden Stil am besten passt. Es geht natürlich nicht darum sich stur festzulegen, aber man muss eben nicht jedes Mal frisch bei null anfangen.

Krimmler Wasserfall

Ich suche möglichst Darstellungsformen, die nicht ganz alltäglich sind. Das hier gezeigte Bild wurde am Krimmler Wasserfall in Österreich aufgenommen. Bei einem Wasserfall-Motiv ist ja die Frage, die sich dabei unweigerlich stellt: Wie möchte ich die fließende Bewegung abbilden? Eine Möglichkeit ist natürlich, dass man ein Stativ verwendet und mit weit geschlossener Blende eine lange Belichtungszeit erhält. Das fließende Wasser wird dadurch sehr "träumerisch unwirklich" dargestellt. Das ist nicht uninteressant, hätte mir an dem Tag und Ort aber nicht zugesagt. Ich habe mich für die andere Extrem-Alternative entschlossen und mit einem lichtstarken Tele (das Fuji XF 2,0/90 mm) mit offener Blende gearbeitet. Das ergab Belichtungszeiten zwischen 1/2000 und 1/4000 Sekunde. Dadurch wird das fließende Wasser in eine Unmenge von Tropfen aufgelöst und der Wasserfall sieht fast gefroren aus.

Resümee:

Bildgestaltung findet zu verschiedenen Zeitpunkten statt: Sie beginnt schon im Kopf bei der Konkretisierung der Bildidee, findet vor dem Druck auf den Auslöser statt und selbstverständlich auch danach bei der endgültigen Ausarbeitung des Bildes. Es gibt viele "Kochrezepte", wie man es machen soll. Davon halte ich aber nichts. Ich meine, dass jeder Fotograf, der sich intensiver mit seinem Hobby befasst, sich immer wieder Zeit nehmen sollte um seine eigenen Arbeiten kritisch zu sehen und alternative Möglichkeiten in Betracht zu ziehen und ausprobieren. Das ist der beste Weg, um sich nach und nach eine immer klarere eigene Bildsprache zu erarbeiten. Sie werden dabei feststellen, dass mit jedem kleinen Fortschritt die Freude an der Fotografie weiter wächst.