Fotoschule: Optik verstehen

Optische Grundlagen

Keine Lust, sich damit zu befassen, mit physikalischer Theorie? Aber keine Angst, trocken und langweilig wird es nicht. Ich zeige Ihnen an praxisnahen Beispielen, um was es geht und warum es sich lohnt ein paar sehr nützliche Zusammenhnge einmal von Grund auf verstanden zu haben!

Was es mit der Brennweite auf sich hat

Fast jeder kennt diesen Versuch: Bei Sonnenschein wird jede Lupe auch zum Brennglas, mit dem man mühelos ein Blatt Papier in Flammen aufgehen lassen kann. Das funktioniert aber nur in einem ganz exakten Abstand, bei dem das Licht in einem einzigen Punkt gebündelt wird - dem Brennpunkt. Die Lichtquelle Sonne ist sehr weit entfernt (annähernd "unendlich" sogar). Wie weit Sie die Lupe bei Sonnenschein vom Papier, das Sie anzünden wollen, entfernt halten müssen hängt davon ab, wie stark die Lupe vergrößert. Je stärker die Lupe, umso geringer wird dieser Abstand. Er wird als die Brennweite bezeichnet, also der Abstand, in dem eine unendlich entfernte Lichtquelle das Licht hinter der Lupe in genau einem Punkt bündelt.

Eine Sammelllinse (darum handelt es sich bei einer Lupe - und bei jedem Kameraobjektiv ebenfalls) kann man aber nicht nur als Brennglas einsetzen. Man kann sie auch als Projektionslinse verwenden.


Funktionsprinzip einer Projektionslinse

Wo das kopfstehende, seitenverkehrte Bild entsteht gehört ursprünglich eine Mattscheibe hin (der senkrechte rote Strich, der durch das Bäumchen geht; Pergamentpapier tut's übrigens auch zum testen). Ganz ähnlich wie beim Brennglas-Experiment wird nur dann ein scharfes Bild entstehen, wenn der Abstand passt. Den kann man natürlich ausrechnen, aber das ersparen wir uns jetzt. Ich habe in der Skizze aber zwei Entfernungen markiert: die Gegenstandsweite und die Bildweite. Je näher sich der fotografierte Gegenstand an der Kamera befindet, desto stärker wächst die Bildweite.

Aufnahmeformat, Brennweite und Tiefenschärfe

Ursprünglich stand hier noch eine längere theoretische Erklärung zu Aufnahmeformaten. Ja klar, selbstverständlich kann man das alles herleiten und ausführlich erklären. Ich finde aber, das führt hier viel zu weit und wird wohl nur wenige wirklich interessieren. Ich beschränke mich deshalb auf das Wichtigste:

  • Digitalkameras haben unterschiedlich große Bildsensoren (= Aufnahmeformate).
  • Je größer das Aufnahmeformat, umso länger die Brennweite bei gleichem Bildausschnitt im Sucher.
  • Längere Brennweite bedeutet bei gleicher Blende geringere Tiefenschärfe.

Handycam
Extrembeispiel einfache Handy-Kamera mit Sensorgröße 3,4 x 4,5 mm und einer Objektiv-Brennweite von ca. 4 mm

Die Bildqualität als solche ist gar nicht mal schlecht. Sogar Foto-Abzüge oder Tintenstrahldrucke im Format DIN A4 sind erstaunlich scharf und detailreich. Man sollte sich aber bewusst sein, dass der Begriff Tiefenschärfe bei solchen Kameras nur ein schlechter Witz sein kann. Es ist immer fast alles scharf. Zugriff auf eine Blendeneinstellung habe ich bei dieser Kamera sowieso nicht.

Ich sage "fast alles", weil es eine Ausnahme gibt, wo solche Mini-Sensor-Kameras gut punkten können. Wegen der extrem kurzen Brennweite sind sie gut für Nahaufnahmen geeignet - und siehe da: sogar Tiefenschärfe!

Handycam Makro
Eine Aufnahme mit der Handy-Kamera aus weniger als 20 cm Abstand

Empfehlung:

Wer Wert darauf legt zur Bildgestaltung im weiten Umfang die Möglichkeiten unterschiedlicher Tiefenschärfe nutzen zu können, der sollte sich keine Kamera mit extrem kleinem Sensor zulegen. Die meisten Handy-Kameras haben solche Kleinst-Sensoren, aber auch viele Kompakt-Digicams sind noch mit ziemlich kleinen Sensorformaten bestückt. Erst im Zusammenhang mit der Brennweite sagt die Blende etwas über die Tiefenschärfe aus. Alle Kameras mit Brennweiten kleiner als ungefähr 20 mm haben auch bei ganz offener Blende schon eine relativ hohe Tiefenschärfe.

Von Weitwinkel bis Tele

Heute ist man fast schon ganz selbstverständlich gewohnt, dass die Brennweite in einem gewissen Bereich verstellbar ist. Zoom-Objektive haben diese Eigenschaft. Bei Kompaktkameras ist das Objektiv fest eingebaut, bei Spiegelreflex- und Systemkameras kann das Objektiv gewechselt werden, was natürlich die Flexibilität weiter erhöht.

Ein ganz wesentliches Merkmal im Zusammenhang mit der Brennweite ist der Bildwinkel. Damit ist der Winkel gemeint, den das Objektiv erfassen und darstellen kann. Nehmen wir zum Beispiel ein Fernglas: Es vergrößert das, was ich damit anpeile, aber der erfasste Bildwinkel ist nur klein (je nach Vergrößerung des Fernglases weniger als 10°).

Das Fernglas entspricht bei der Kamera einem kräftigen Tele-Objektiv. Bestimmt haben Sie rein zum Spaß das Fernglas auch schon mal umgedreht und verkehrt herum durchgeschaut. Alles wird winzig klein, aber der erfasste Bildwinkel ist jetzt riesengroß. Das umgedrehte Fernglas entspricht einem starken Weitwinkel-Objektiv.

Unterschiedliche räumliche Wirkung

Weitwinkel
Ein typisches Weitwinkel-Bild, aufgenommen mit 14 mm Brennweite an einer Kamera mit Bildsensor im Format APS-C (25,1 x 16,7 mm)

Tele
Im Gegensatz dazu eine Tele-Aufnahme: Der Raum wird "gestaucht", der beschneite Berg erscheint fast zum Greifen nah, obwohl er mehrere Kilometer entfernt ist.

Normalbrennweite
Zwischen Weitwinkel und Tele liegt die so genannte Normal-Brennweite. Beim Format APS-C sind das 35 mm Brennweite. Es ist die Brennweite, die eine Wiedergabe liefert, die der räumlichen Wahrnehmung mit dem menschlichen Auge am nächsten kommt.

Interessante Besonderheit beim menschlichen Auge

Unser Auge hat eine ganz bemerkenswerte Eigenschaft: Es besteht gewissermaßen aus zwei spezialisierten Linsen gleichzeitig. Der Bildwinkel ist sehr groß (ungefähr 160° nämlich). Das ist sehr nützlich um sich nähernde Gefahren frühzeitig wahrnehmen zu können. Wenn wir aber etwas genauer erkennen wollen, müssen wir es ganz gezielt anschauen. Der Bildwinkel, in dem wir wirklich scharf sehen können, umfasst nämlich nur etwa - also erstaunlich wenig. Auch das hat aber einen konkreten Nutzen: Wenn wir die gesamte Information des 160°-Bilds aufnehmen müssten, würde unser Gehirn mit einer großen Menge völlig unwichtiger Daten überflutet. Deshalb wird die wirkliche Aufmerksamkeit nur auf den kleinen Bereich in der Bildmitte gerichtet.

Zoom verleitet zu fotografischer Faulheit

Wer ein Zoom-Objektiv auf der Kamera drauf hat und nicht weiter nachdenkt, der wird auf die Frage, worin denn der wesentliche Vorteil des Zooms liegt, vielleicht antworten: "Der Vorteil ist, dass ich mein Motiv ganz bequem herholen kann!"

Wer so oder ähnlich antwortet, der sitzt eventuell einem großen Irrtum auf: Es ist nicht dasselbe, ob ich zoome oder näher ran gehe! Ich möchte Ihnen das hier gleich an einem Beispiel demonstrieren.

Dom 36mm

Dom 18mm

Vom ersten Bild zum zweiten bin ich einfach nur ein Stück näher an die Kirche ran gegangen und habe die Brennweite so angepasst, dass das Gebäude ungefähr auf beiden Bildern gleich hoch erscheint. Da ich jetzt recht nah davor stand, musste ich schräg nach oben fotografieren. Als unmittelbare Auswirkung entstehen "stürzende Linien". Alles scheint nach hinten zu kippen. Das kann man natürlich in Lightroom oder RAW-Konverter korrigieren, aber ich habe es absichtlich so gelassen, wie es aus der Kamera kam. Beeindruckend finde ich, dass auf dem zweiten Bild der vorher noch das Bild dominierende Kirchturm kaum mehr zu sehen ist.

Aber es geht sogar noch beeindruckender. Bei diesen beiden Bildern habe ich so fotografiert, dass das Werbeplakat ungefähr gleich groß bleibt:

Rino mal 2

Verstehen Sie das bitte nicht so, dass die eine Brennweite die bessere als die andere ist. Dass die Weitwinkel-Bilder hier mehr oder weniger verunstaltet daher kommen, das liegt nur daran, dass ich des besseren Vergleichs halber stur geradeaus weiter zum Motiv hin marschiert bin. Selbstverständlich hätte der WW-Fotograf auch ein Stück zur Seite gehen, den Ausschnitt anders anpeilen und das Motiv komplett anders aufbauen können. Darum geht es aber hier nicht, sondern ich möchte hier demonstrieren, dass gedankenloses Zoomen ein ganz anderes Bild ergibt als wie wenn man näher dran oder weiter weg gegangen wäre.

Empfehlung:

Auch wenn es verlockend ist: Man sollte nicht nur aus Bequemlichkeit zoomen bis das Hauptmotiv die gewünschte Größe hat. Veränderung der Brennweite bedeutet nämlich immer auch Veränderung der Relation Vordergrund Hintergrund, also der Raumwirkung des Bildes. Weil das aber genau wie das Ausmaß der Tiefenschärfe ein sehr wichtiges fotografisches Gestaltungsmittel ist, darf das nicht ignoriert werden. Überlegen Sie sich also sehr bewusst wie Sie Ihr Bild sehen wollen und weches die dafür passende Brennweite ist. Der entscheidende Vorteil des Zoom-Objektivs ist nicht die Bequemlichkeit, sondern die Möglichkeit durch Veränderung der Brennweite die Raumwirkung im Bild gezielt zu beeinflussen. - Für den Rest haben Sie zwei Beine!