Warum RAW so viel besser ist als JPG

Sicher haben Sie auch schon oft gehört oder gelesen, dass man unbedingt im RAW-Format fotografieren soll, weil das dem JPG so deutlich überlegen sei. Sehr hartnäckig hält sich aber bei vielen die gegenteilige Meinung: "Wirklich sehen tut man's doch nicht!" Fragt man näher nach, bekommt man oft zu hören: "Das ist einfach meine eigene praktische Erfahrung. Mit meiner Kamera (Fabrikat X und Typ Y) werden die Bilder schon als JPG absolut super. Wozu sollte ich mir also unnötige Mehrarbeit machen?"

Weil man aber bekanntlich bevorzugt nur das sieht, was man auch sehen wollte, verschließt man nur zu gerne die Augen vor der Realität. Das möchte ich hier an einem eindrucksvollen Beispiel zeigen.

Die Ausgangslage

Ich habe einige Aufnahmen aus der Wiener Stadtbahn-Haltestelle bei Nacht. Das Licht war fotografisch nicht gerade unproblematisch. Der automatische Weißabglech meiner Kamera konnte damit jedenfalls nichts Vernünftiges anfangen. Ich habe zwei identische Aufnahmen: eine RAW und eine JPG. Ich werde jetzt versuchen beide so gut wie möglich »aufzupeppen«.

Weißabgleich wie Aufnahme

So kam das Bild aus der Kamera. Es ist klar, dass der sehr kräftige senfgelbe Farbstich nicht erwünscht war. Ich suche mir zur besseren Orientierung ein Detail im Bild, von dem man einigermaßen sicher sein kann, dass es eigentlich weiß sein müsste.

Dieses Detail finde ich auf der Tafel oberhalb der offenen Türe. Die Symbole und die kleinen Texte sind schwarz auf weißem Grund.

Ich rufe im Photoshop das Tonwertkorrektur-Werkzeug auf und aktviere dort die Weiß-Pipette:

Damit klicke ich im Bild irgendwo in den Bereich, der eigentlich weiß sein müsste.

Die Lösungsversuche

1) JPG-Bild

Korrektur mit der Weiß-Pipette der Tonwertkorrektur

Und das ist das leider nur wenig begeisternde Resultat.

Die Weiß-Pipette hat Ihre Aufgabe tatsächlich perfekt erledigt. Die Unterlegung der Symbole und kleinen Texte strahlt jetzt in fast makellosem Weiß, und die Schattenbereiche wurden dabei im gesamten Bild auch etwas angehoben (gut zu sehen am Fußboden). Aus dem vorigen Senfgelb ist jetzt allerdings fast schon ein Giftgrün geworden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das der Wirklichkeit bei der Aufnahme entspricht.

Aber wie hat es nun wirklich ausgesehen? Waren die Wände z.B. rein weiß, oder hatten die vielleicht wirklich einen Grünton?

Mal ganz davon abgesehen, dass wir uns jetzt auf dem Gebiet der großen Rätsel-Raterei bewegen, würde man auch schnell merken, dass die Reserven dieses JPG-Bilds schon weitgehend ausgeschöpft sind. Man stößt dauernd an die Grenzen, weil Tonwert-Abrisse auftreten, was natürlich nicht erwünscht ist.

2) RAW-Aufnahme

Ausarbeitung im RAW-Konverter von CS5 oder Lightroom

Auch im RAW-Konverter gibt es natürlich eine Pipette; nur eine für alles, also gar nicht aufgeteilt für Lichter, Mitten und Tiefen. Ich wähle sie also aus (im Screenshot rot markiert) und klicke wieder wie vorhin auf das Schild - und fertig ist schon der tadellose Weißabgleich!

Weil ich den RAW-Konverter schon mal offen habe, stimme ich mit den Schiebereglern das Bild noch ein bisschen mehr in die Richtung ab, wie es mir gefällt. Farblich verändere ich dabei gar nichts mehr, sondern nur Helligkeit, Kontrast und Tiefen- und Lichterzeichnung optimiere ich etwas. Mit dem Klarheit-Regler hebe ich schließlich noch etwas mehr die Konturen heraus.

Gedauert hat die Arbeit im RAW-Konverter nicht einmal zwei Minuten. Auch wenn es in klein natürlich nicht auffällt: Tonwert-Abrisse hat es selbstverständlich keine gegeben bei dieser Ausarbeitung.

Wie entsteht dieser große Unterschied?

Spontan denkt man: Ist ja klar, weil bekanntlich JPG kein verlustfreies Kompressionsverfahren verwendet! Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Auch wer mit TIFF fotografieren würde, hätte das selbe Problem (allenfalls ein bisschen abgeschwächt). Der springende Punkt liegt darin, dass nur RAW alle Aufnahmedaten enthält. Es ist noch keine Entscheidung für den Weißabgleich gefallen.

Jetzt werden mir sicher viele widersprechen, weil man doch ganz deutlich sehen kann, dass das Bild anfangs sehr wohl diesen grausamen Farbstich hatte - genau wie das JPG-Bild. Entscheidend ist aber, dass dieser Weißabgleich nur ein Vorschlag war, den man annehmen kann oder auch nicht. Sobald man das RAW-Bild im RAW-Konverter geöffnet hat, stehen einem wieder alle Einstellungen für den Weißabgleich zur Verfügung. Man verscheibt die beiden Schieberegler Farbtemperatur und Farbton entsprechend, bis es einem zusagt, oder man greift eben zur Pipette, die im RAW-Konverter um Längen leistungsfähiger ist als das vergleichbare Werkeug im Photoshop, wie wir ja gerade gesehen haben.

Machen Sie sich bewusst:

Weil der gewählte Weißabgleich immer erst in dem Moment, in dem man das ausgearbeitete Bild als PSD, TIFF oder JPG exportiert, der jeweiligen Datei als Eigenschaft »aufgedrückt« wird, ist das ein sehr wesentlicher Schritt. In diesem Moment ist die Entscheidung gefallen, welche Farbabstimmung man haben möchte. Natürlich kann man das danach im Photoshop auch wieder anders bearbeiten, aber nicht mehr in der gleichen Qualität wie vorher im RAW-Konverter, weil jetzt eben nur die Informationen mit gegeben wurden, die für die gewünschte Weißabstimmung (und damit Farbabstimmung) optimal nötig sind. Wer den Weißabgleich im Nachhinein merklich verändern möchte, sollte für die best erreichbare Qualität wieder den Weg über den RAW-Konverter wählen und das Bild neu abgestimmt ein weiteres Mal exportieren.

Die Tatsache, dass man das Problem bei den meisten Motiven nicht bewerkt, weil sie eben entsprechend unproblematisch und harmlos sind, ändert nichts daran, dass der grundlegende Unterschied zwischen RAW und JPG immer bestehen bleibt. Da die Ausarbeitung heute bequem und rationell ist, gibt es keinen einzigen Grund mehr um RAW weiter einen Bogen zu machen.